Drei Reden zu Vernissagen von Hansruedi Bär

guylang —  17. November 2012

Bilder 2009/201, September 2010

«Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr». Diese melancholische Zeile aus dem Gedicht «Herbsttag» von Rainer Maria Rilke kennen Sie alle. Sie trifft zwar auf die kommende Zeit zu – immerhin beginnt in diesem Monat September der Herbst –, für das Schaffen von HRB kann diese Aussage keine endgültige Feststellung sein. Als wir uns zur Vorbereitung dieses Abends getroffen haben, zeigte er mir seine «neuen» Häuser und meinte beiläufig, dass die meisten im letzten Jahr entstanden seien. Auf meine direkte Frage, ob er sich weiterhin mit dem Malen von Häusern befasse, entzog er sich einer konkreten Antwort. Genau so, wie die Häuser auf seinen Bildern sich einer architektonisch exakten Bauweise entziehen.

Haus Hansruedi BaerSie sind eher Landschaften als Gebäude, mehr expressive Gedanken, festgehalten auf Flächen, gestaltet mit Farben. Alles ist ineinander verwoben, Türen, Fenster, Landschaften, Dächer. Wo beginnt das Haus, wo die Umgebung? Es spielt keine Rolle, die Bilder appellieren an die Phantasie.

«Sie sind hinter dem Papier versteckt», sagt der Künstler, «ich muss sie rauslassen». Dann entstehen Stimmungen, wie sie auch in einem geschriebenen Tagebuch entstehen können. Assoziativ, wild, lieblich. Vielleicht ist die Flüchtigkeit eines Traumes das bessere Bild. Denn auch wenn sich das Gebilde auf dem Papier manifestiert, heisst das noch lange nicht, dass es dort seinen endgültigen Standort gefunden hat. Manchmal lässt es HRB stehen, manchmal fallen Teile dem Übermalen zum Opfer, manchmal wird die ganze Fläche frisch und neu gestaltet. Bis wieder eine Vorstellung von Häusern entsteht. Oder noch besser, eine Vorstellung von Räumen.

Häuser sind wichtig für HRB. «Ich träume oft von Häusern in einer alten Stadt. Und plötzlich wissen die Menschen nicht mehr wo sie sind, weil ein Haus abgebrochen wurde und sie nun dort hindurchgehen können, wo sie seit 600 Jahren nicht mehr durch konnten, weil dort ein Haus gestanden hat».  Nicht nur in Träumen erscheinen ihm Häuser, sie begleiten ihn sein ganzes Leben hindurch. Sei es die Villa an der Rämistrasse, die er während seiner Handelsschulzeit immer wieder auf Papier gebannt hat, sei es das Haus, das seine Eltern gebaut hatten als er noch ein zehnjähriges Kind war. Gestört hat ihn daran einzig, dass es nichts Extravagantes war und vor allem, dass die Fenster wegen Normvorschriften erst 90 Zentimeter über dem Boden begannen und es keine Fenstertüren gab.

Später konnte er seine eigenen Vorstellungen verwirklichen – er kaufte sein Haus im Elsass und baute es um. «Ich will lieber alte Häuser umbauen statt neue zu bauen. Und ich will immer in umgebauten Häusern wohnen», bekennt er. Einschneidend war, dass er später auf sein Bijou aus verschiedenen Gründen verzichten musste. Geblieben sind Fotos, Erinnerungen und der unstillbare Drang, eine Art von Häusern aus dem Papier steigen zu lassen. Die Ergebnisse können Sie hier betrachten. Doch wie ich es schon bei der letzten Vernissage erwähnt habe, schauen sie genau hin, speichern sie das Gesehene tief in ihren Gedanken. Denn HRBs Häuser sind flüchtig und verändern sich stetig. Was auffällt ist, dass er jetzt hellere Farben verwendet als früher – Gelbtöne, helle Grautöne, Weiss und so fort. Die bedrohlichen Situationen, in welche seine Gebäude früher oft gerieten, sind verschwunden, die Düsternis ist der lichteren Helle gewichen.
Zum Schluss möchte ich nochmals auf Rilke zurückkommen: Zwar, «baut er jetzt keines mehr», doch er braucht es auch nicht. Denn seine Gebäude stehen schon. Er braucht keine zusätzlichen Landschaften und Häuser mehr, er hat sich befreit und kann sich seiner neuen Leidenschaft zuwenden. Den Objekten, die sich aus einem Kunterbunt von glänzenden und glimmernden Alltagsgegenständen zusammensetzen. Da finden Sie Nippes, Göttinnen, Kitsch, Plastikstäbchen, Federn, Silberpapier … Gehen Sie bitte selber auf Entdeckungsreise. Und wer weiss, vielleicht finden Sie Ansätze von Häusern. Oder Miniskulpturen, die Häusern immer ähnlicher werden und sich als logische Weiterentwicklung im Schaffen von HRB entpuppen.

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«Meine Bilder»  Oktober 2008

Zum zweiten Mal habe ich die Ehre, eine Vernissage meines Freundes Hans Rudolf Bär zu eröffnen. Als er mich anfragte, dachte ich mir: «Ok, das wird einfach. Ich kenne ihn, seine Bilder, seine Art. Und die Leute, die vor zweieinhalb Jahren schon einmal an der Vernissage waren, haben sicher vergessen, was ich damals so erzählt habe. Also ein easy job».

Dachte ich mir so. Und traf mich mit Hans Rudolf. Dann wurde mir klar, dass es mit copy/paste alleine nicht getan war. Denn schon das Motto «Meine Häuser» und das Leitmotiv «Es, (das Haus), in ihr, (der Landschaft)» von Robert Walser, das der Künstler dieser Ausstellung gibt, lenkt die Betrachterin und den Betrachter sanft in eine bestimmte Richtung. Häuser als lebendige, charmante, verletzliche, traurige Wesen. In einer fröhlichen, bedrohlichen, chaotischen, strukturierten Landschaft. Damals sagte mir Hans Rudolf zu seinen Bildern: «Das Wesentliche geschieht beim Betrachter und nie möchte ich im Wege sein oder etwas befehlen». Er gab keinerlei Hilfe, jeder musste sich seinen eigenen Zugang zu den Werken schaffen, jeder musste sich seine eigene Geschichte dazu erfinden, jeder musste seine Phantasie bemühen.

Auch heute ist die Phantasie gefordert, auch heute gibt der Künstler keine Befehle, überlässt er den Zugang den Einzelnen. Doch er bekennt sich zu seinen Häusern – er liebt sie wie Lebewesen. Und sie danken es ihm, führen ein Eigenleben, sind Persönlichkeiten. Jedes Bild hat eine Überraschung bereit, jedes Haus präsentiert sich durch einem anderen Charakter.

Ich denke, Häuser sind stark unterschätzte Wesen. Wir haben immer das Gefühl, dass wir sie einrichten und nach unserer Vorstellung gestalten. Das Gegenteil ist der Fall. Die Struktur der Häuser formt die Menschen und zwingt sie, dieses oder jenes Möbel da oder dorthin zu stellen. Und wenn das Zimmer oder das Gebäude mit der Anordnung nicht zufrieden ist, stört es die Menschen in ihrem Wohlbefinden so lange, bis sie die Einrichtung umstellen und eine Harmonie – oder Disharmonie, je nach Haus – erreicht ist. Wir unterschätzen auch die Kraft und den Einfluss, den Gebäude auf uns Menschen haben können. Ein Beispiel mag genügen. Noch nie ist ein Haus in einer Klinik oder einem Irrenhaus gelandet. Hingegen hat ein Haus die Macht, Menschen krank und irre zu machen. Oder aber glücklich und zufrieden.

Doch nicht von Negativem will ich sprechen. Denn die Bilder, die wir hier sehen sind positiv, verspielt, witzig, ja teilweise versponnen. Sie haben Gesichter, die Fenster betrachten die Betrachtenden mit leuchtenden Augen. Und das Wesentliche geschieht dahinter, geheimnisvoll, erahnbar allenfalls. Sie zeigen nur Fassaden, sie behüten ihr Innenleben. Einige Häuser schmiegen sich in die Landschaft und suchen Schutz unter den Linien des Horizonts. Manche stehen beengt in der Grossstadt und zeigen ihr Unwohlsein überdeutlich. Wieder andere geben sich unnahbar, abweisend oder auch allerliebst. Manche lassen merken, dass ihnen ihr Nachbarhaus überhaupt nicht behagt, manche scheinen sich zu lieben und umarmen sich. Oder – wie die ängstlichen Exemplare auf der Einladungskarte – sie schmiegen sich vor dem nahenden Dunkeln zärtlich und trutzig aneinander.

Eines haben alle Bilder gemeinsam: sie erzählen Geschichten und laden zum Verweilen. Eine flüchtige Betrachtung bringt nicht viel, man muss vielmehr zwei- bis dreimal hinzusehen und Details zu entdecken. Seien es Details in den Farben, seien es Unschärfen wie wallende Nebel. Oder die skurrilen Formen, die etwa einen Spitzbogen andeuten und dennoch rund und weich sind. Die Häuser sind verschachtelt, erinnern an erstaunte oder irritierte Geschöpfe. Eine gültige Interpretation gibt es nie. Beispielsweise ist bei der wilden Urwaldlandschaft – ich bezeichne sie mal so – nicht klar, ob sie sich an den störenden Häusern rächen will und sie verschlingt, oder ob Haus, Blätter und Lianen einen ekstatischen expressionistischen Tanz aufführen.

Hans Rudolf Bär fordert für seine Werken nicht nur Phantasie und geschärfte Sinne, er lässt auch vielseitige Assoziationen zu. An Expressionistisches, verspielt Dadaistisches, Anspielungen an Futuristisches. Oder er zitiert augenzwinkernd «Der Schrei» mit Häusern. Dabei scheint er sich über seine Geschöpfe zu amüsieren, von denen er sagt, dass er sie gar nicht geschaffen habe, sondern dass sie ihn einfach dazu benutzt hätten, um auf dem Papier zu erscheinen.

Nehmen sie meine Worte, besser Wörter, nicht als Interpretationshilfe oder gar ernst. Es ist halt das, was mir so spontan beim wiederholten Betrachten eingefallen ist. Und glaubte ich, ein Lieblingsbild gefunden zu haben, verführte mich beim nächsten Mal ein anderes und so fort. Manche mochte ich erst gar nicht, dann schlichen sie sich klamm und heimlich bei mir ein und grinsten mich glücklich an.

Wenn Ihnen, liebe Damen und Herren, ein Bild gefällt, reservieren sie es sich sofort. Sonst rennen Ihnen die Häuser weg oder verändern sich zur Unkenntlichkeit. Hans Rudolf Bär hat die Eigenart ein Bild als momentane Zeitaufnahme darzustellen. Denn er wird von den Bildern gezwungen, sie zu verändern, zu übermalen, die Häuser auf ihrer Reise an den «richtigen» Standort zu begleiten. Um sich selber zu überlisten hat er kleine Männchen geschaffen, die je ein fertiges Bild tragen, sozusagen die Miniausstellung fürs Buffet. Auch diese können Sie erstehen.

Und dann sind da noch einige Objekte zu begutachten. Auch sie Häuser, helle Häuser. Aber ohne Landschaft. Dafür mit Rädern. So dass sie durch die Gegend kurven, sich Umgebung um Umgebung ansehen und dann vielleicht entscheiden können, wo es ihnen vorübergehend am besten passt. Denn auch sie sind neugierig, stets auf der Suche nach Neuem. Ganz wie Hans Rudolf Bär und seine Motive. Ich danke für die Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen, dass das Betrachten der Bilder Ihnen ebenso viel Spass machen wie mir.

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«Dreimal Bär»; März 2006

Sie sehen verspielte Objekte, Bilder von magischen Räumen und wundersamen Häusern.
Erlauben Sie mir mich vorzustellen: Ich heisse Guy Lang und bin mit Hans Rudolf Bär und seiner Partnerin Claudia Becker befreundet. Die Anfrage hier einleitende Worte zu sprechen, hat mich sehr gefreut. Doch bin ich als Redaktor und Journalist der völlig falsche Mann. Denn unser Beruf verlangt, dass wir Gesehenes exakt beschreiben, Gehörtes klar in Worte fassen und reale Gegenstände sprachlich genau einordnen. Und gerade diese Journalistentugenden lassen sich bei den Arbeiten von Hansruedi Bär nicht anwenden. Seine Objekte sind verspielt, erzählen Geschichten und sind einfach da. Unfassbar. Und für jede Betrachterin, für jeden Betrachter öffnen sie eine eigene Welt.

«Das Wesentliche geschieht beim Betrachter und nie möchte ich im Wege sein oder etwas befehlen. Das Bild, das Objekt gehört dem Betrachter», sagt Hansruedi Bär. Er gibt den Betrachtern keinerlei Hilfe, jeder muss sich seinen eigenen Zugang zu den Werken schaffen, jeder muss sich seine eigene Geschichte dazu erfinden. Und – jeder muss seine Phantasie bemühen.

Drei Arten Kunst können wir sehen – grosse Bilder mit Räumen, kleinere Bilder mit Häusern und kleine Objekte aus den verschiedensten Materialien. Gemeinsam ist allen eines: Sie sind jeweils alle innerhalb eines Jahres entstanden. Hansruedi Bär malte erst ein Jahr Häuser, dann ein Jahr Räume und dann schuf er die Objekte. Von aussen nach innen, von gross zu klein. Der Weg zur Konzentration.

Hansruedi Bär hat mir erklärt, dass er sich selber zurück hält und darauf wartet bis etwas kommt. Dass er kein Konzept hat und dass er nicht studiert und grübelt, was er malen könnte. Und dass ihm Stimmungen wichtig sind. Und sie kommen, die Häuser mit ihren Fenstern und Eingängen, Häuser wie Schachteln, aneinandergereiht und ineinander verwoben, Häuser wie verspielte Objekte, manchmal wie Dominosteine hintereinander oder wie Handorgeln. Und die Bilder sind nie fertig. Die Häuser wollen verändert und übermalt werden. Sie sind Anregungen für den Künstler und sind auch Anregungen für die Betrachter. Und sobald sie beschrieben werden, werden sie interpretiert und mutieren subjektiv zu simplen Häusern mit skurrilen Fassaden und winzigen Lichtluken.

Wenn Sie jetzt eine Art Bedienungsanleitung oder ein Bildbetrachtungsrezept von mir erwarten, muss ich Sie enttäuschen. Ich tauge nur für Assoziationen. Und da trifft es sich gut, dass Herr _________________ da ist und Klavier spielt. Denn beim Betrachten der zweiten Malphase von Hansruedi Bär – nämlich seinen Raumbildern – kommen mir unweigerlich Bühnenbilder in den Sinn. Und ich warte jeden Moment darauf, dass Musik ertönt, Don Giovanni durch den schmalen Spalt auftritt und seine Champagnerarie singt. Das ist die theatralische Phase von Hansruedi Bär. In einer seiner früheren Zeit hat er in Deutschland das Theaterpublikum mit Szenerien beglückt. Theaterarbeit ist prägend in einem Leben und so erstaunt nicht, dass er in seinen Räumen stets Auftrittsmöglichkeiten geschaffen hat, schmale Eingänge durch die Protagonisten schlüpfen und das Publikum – in unserem Fall die Betrachter – in Bann ziehen, entführen und verzaubern. Aber entschuldigen Sie bitte, das ist schon wieder mein journalistischer Drang, die Bilder genau zu beschreiben. Selbstverständlich sind es einfach leere Räume mit hohen Wänden, die Sie selber füllen können – wie immer sie wollen. Mit dem was Ihnen Ihre Phantasie vorgaukelt.

Zum Theater gehören auch Requisiten. Das sind Gegenstände aus dem alltäglichen Leben. Auch Hansruedi Bär braucht solche Dinge. Eierkartons, Schuhputzschwämme, Dörrfrüchte oder Weggli. Was man halt so braucht. Doch wenn ihm solche Dinge in die Hände geraten passiert es: Sie wandeln sich, verspielen sich und verkleiden sich. Sie wollen nicht als Eierkartons, Schuhputzschwämme oder Weggli wieder erkannt werden. Sie freuen sich auf ein neues Leben als filigrane Andeutung einer Tänzerin oder als verspielte «Sinnlosigkeit» in Grün oder Gold. Und sie erzeugen Spannungen zwischen ihrer eigentlichen Bestimmung und ihrer neuen sinnlich inspirierten Darstellung. «Ich stosse auf Gegenstände und sie erzählen mir eine Geschichte. Und dann muss ich etwas draus machen«, sagt der Bär, der viel zu Gentlemanlike und zu zart ist, um seinem Namen gebenden Tier zu gleichen. Dann schleift, verändert und dramatisiert er seine Funde. Und erweckt sie zu einem neuen Leben, einer anderen Bestimmung. Er transportiert Banales in eine lyrische Ebene, die sie als klar definierter Gebrauchsgegenstand nie erreicht hätten. Und sie haben eine neue Bestimmung, nämlich die, die Phantasie der Betrachterinnen und Betrachter zu wecken und anzuregen.

Jetzt überlasse ich Sie ihrer Phantasie und bitte Sie, diese rege zu gebrauchen. Geniessen Sie die Begegnung mit ihr, angeregt durch die Arbeiten, die hier ausgestellt sind. Und wenn Sie ihre Phantasie auch zu Hause beschäftigen wollen, können Sie die künstlerische Anregung von Hans Rudolf Bär erwerben und mitnehmen.