Textiler im Tösstal II – Hans Ineichen, Textilmechaniker

guylang —  17. August 2014 — Kommentiere

Das Gelernte vergisst man nie

1976 machte Hans Ineichen (*1958) bei der Firma Boller Winkler in Turbenthal seine Lehre als Textilmechaniker. 2014 ist er als Weber bei TV-Serie «anno 1914» dabei. Die Rückkehr in seinen alten Beruf – heute hat er die Webmaschinen mit Bäckereimaschinen ausgetauscht – hat ihm grossen Spass bereitet.

Hans Ineichen

© Guy Lang

«Einmal Textiler, immer Textiler», Hans Ineichen lacht, «kaum sah ich beim Casting meinen alten Lehrmeister Hiestand in der Fabrikhalle, schlugen wir mit Fachausdrücken um uns. Die TV-Crew verstand nur noch Bahnhof». Oberschläger, Unterschläger, Zettel, Schlichterei, Nissen – Fadenverdickungen bei der Leine – und was der Ausdrücke mehr sind.
«Bewerbungen für eine Lehrstelle schrieb man damals noch keine», sagt Ineichen, «Man ist hingegangen, hat gefragt, musste einen kleinen Test machen und hatte die Lehrstelle». Die Lehre ist in etwa die gleiche wie als Maschinenmechaniker. Ineichen: «Zuerst wird ein halbes Jahr gefeilt, gebohrt und Bohrer geschliffen». Später spezialisiert man sich auf die Weberei, Stickerei Zwirnerei oder Spinnerei. Nach drei Jahren beherrscht man alles. Vom Faden zum Zettel machen – Zettel ist übrigens der grosse Knäuel mit dem Faden –, von Schlichten – das Stärken des Fadens mit Kartoffelstärke, damit er beim Weben nicht sofort reisst – zum Anweben. Damals standen bei der Firma Boller Winkler etwa 200 Maschinen, um die sich neun Mechaniker gekümmert haben.

Der Schlag auf den Dorn
Wegen der Abnutzung musste viel geflickt werden: Gussteile brachen, die Schiffchen gingen kaputt, Lederriemen rissen. Einmal brach eine Welle, auf der ein grosses Schwungrad lief. Um sie zu reparieren musste das Schwungrad runtergenommen werden. Die war nur möglich, wenn man mit einem dicken Dorn dagegen schlägt. Hans Ineichen erinnert sich: « Ich musste den schweren Dorn mit beiden Händen halten. Der Werkstattchef holte mit einem 10 kg-Schlegel bedrohlich über die Schulter aus und donnerte den Hammer auf den Dorn.» Er sei erschrocken, das Rad war unten und seine Hände ganz. «Das war mein eindrücklichstes Erlebnis». Und sein grösster Flop? «Ich musste die Schlichterei laufen lassen, es war aber zu wenig heiss. So ist die Flüssigkeit nicht genügend getrocknet». Die Folge: Als gewoben werden sollte klebte der ganze Zettel zusammen und musste entsorgt werden.

Die Kunst Bilder zu weben
Ineichen hat auch gelernt, wie man Lochkarten herstellt, um beispielsweise besondere Muster in die Frottéewäsche einzuweben. Dabei wird jeder Faden einzeln gesteuert. Im Schaft, in dem Teil des Webstuhls, der rauf und runter fährt, sind Litzen, wo die Fäden durchgehen. Wenn beispielsweise 2000 verschiedene Fäden gebraucht werden, verteilt es sich auf vier Schafte mit je 500 Litzen. Jede hat unten einen Gummizug und oben eine dünne Schnur, die zur Schaftmaschine geht. Von dort kommt per Lochkarte der Befehl, welcher Faden gezogen werden muss. Komplizierter ist das Jacquardweben mit ganzen Bildern. Zunächst überträgt ein Spezialist die Zeichnung auf ein kariertes Papier. Dabei erhält jeder Faden ein Karo. Werden 10’000 Fäden benötigt, hat das Papier auch 10’000 Karos. Mittels einer Schreibmaschine wird dieser «Fadenplan» auf eine Lochkarte übertragen. Dabei kann es sein, dass diese 40 bis 50 Meter lang wird.

Miserabler Verdienst und lange Arbeitszeiten
Für «anno 1914» allerdings musste sich Hans Ineichen wieder an alte, nicht automatische Webstühle gewöhnen. Während er bei Boller Winkler 20 Maschinen gleichzeitig bedienen konnte, waren es hier nur zwei. «Kaum waren wir in den am Arbeitsort, stürzte der volle Druck auf uns». Und sie haben gewoben «was gisch, was häsch».
Am Mittag hatten sie richtig Hunger. Schliesslich waren sie seit 06.30 am arbeiten. Das Essen war wie damals: vor allem dicke Suppen. Und Kartoffeln, Rüebli, Lauch, einfach alles was der Garten hergab. Fleisch war äusserst rar, wenn sie Glück hatten, war etwas Speck in der Suppe. «Einmal gab es Kuheuter, das fand ich allerdings schrecklich», so Ineichen.
Er habe allerdings das Glück gehabt, am Abend nach Feierabend wieder nach Hause zu dürfen und sich unter einer eine erfrischende Dusche zu erholen. Die Leute haben allerdings komisch geschaut, wenn er an der Tankstelle in Turbenthal in seinen alten Kleidern ein Päckchen Zigaretten einkaufte.
Und Ineichens Fazit? «Es war früher strenger, längere Arbeitszeiten, auch am Samstag war ich in der Fabrik. Und der Verdienst war miserabel». Den gab es im Papiersäcklein, 34 Rappen pro Stunden. Aber insgesamt: «Die Filmerei war lässig. Und das Spannende war, dass wir nach einem Tag wieder voll Textiler waren». Obwohl er seit rund dreissig Jahren nichts mehr mit der Weberei zu tun hat.

Erschienen in «Der Tößthaler», August 2014

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