Textiler im Tösstal I – Jacques und Hans-Felix Jucker

guylang —  17. August 2014 — Kommentiere

Im Themenschwerpunkt von SRF «anno 1914» steht der Alltag einer Fabrikantenfamilie und der Arbeiter in einer Weberei aus der Zeit. Die Textilindustrie war für das Tösstal ausserordentlich wichtig, viele haben selbst in einer Fabrik gearbeitet oder erinnern sich noch sehr gut daran. Um einen Bogen zur späteren Zeit zu schlagen, porträtiert «Der Tößthaler» in vier Folgen Persönlichkeiten aus späteren Generationen, die in der Textilindustrie heimisch waren als Zeitzeugen – Fabrikbesitzer, Textilmechaniker, Spinnereimeister und Weberin.

Die Fabrikbesitzer der letzten Generation

Jacques (* 1936) und Hans-Felix Jucker (*1940) übernahmen die Weberei, die in der TV-Serie «anno 1914» als Schauplatz dient, 1963 in der vierten und letzten aktiven Weberei-Generation. Rechtzeitig vor dem grossen Webereisterben mussten sie den Betrieb 1988 schliessen. Im Gespräch erzählen sie lebhaft von ihrem Alltag, ihren Freuden und Problemen als Patrons.

Jacques–und Hans_Felix_Jucker

© Guy Lang

Gründer der Weberei Grünthal war Johann Felix Jucker (1822 bis 1887), seine Söhne Johann Jakob (1849 bis 1917) und Heinrich (1854 bis 1892) folgten ihm. Dann kam Jacques (1893 bis 1963), der Vater unserer Protagonisten. Sie alle führten das Unternehmen durch das Auf und Ab der Zeiten. Jacques und Hans-Felix sind im Stammhaus, der Fabrikantenvilla aufgewachsen. «Wir gingen ganz normal in Bauma in die Primarschule», sagt Jacques Jucker, «unsere Kollegen waren die Kinder von Fabrikarbeitern. Sie kamen zu uns nach Hause und wir zu ihnen», Und Bruder Hans-Felix ergänzt: «Wir waren nie abgehoben, die soziale Durchmischung hat uns gut getan.» Nach der Ausbildung – Jacques mit dem Wirtschafts-Lizenziat in St. Gallen, Hans-Felix am Textil-Technikum in Reutlingen (D) sowie einem Amerikajahr – führten sie nach dem Tod ihres Vaters 1963 gemeinsam das Unternehmen. Der Ältere war für die Finanzen, der Jüngere für das Technische zuständig. Und die Kunden teilten sie sich auf.

Spezialität: Plisséegewebe
Das reizvolle an der Aufgabe eine Weberei zu führen, sind die Verantwortung für Mitarbeitende und das Unternehmen, die Selbständigkeit sowie die Freude schöne und immer wieder neue Produkte herzustellen. Hauptsächlich waren das gemusterte Dekostoffe, Stoffe für Damen- und Herrenoberbekleidung und vor allem Plisséegewebe, die für Smokinghemden und ähnliches verwendet wurden. Dabei werden die Fältchen eingewoben und nicht eingebügelt. «Wie waren eine Rohweberei, unsere Stoffe direkt ab Webstuhl waren nicht fertig». Die Kunden – so genannte Manipulanten, weil sie die Stoffe verändert haben – kauften das Gewebe und veredelten es durch Färben, Bedrucken oder andere «Manipulationen». «So fanden unsere Artikel indirekt den Weg in die ganze Welt», erzählt Hans-Felix Jucker stolz. In den 1980-Jahren hatten Saris Hochkonjunktur. «Ein Höhepunkt», erinnert Jacques Jucker, «war die Bestellung von zweimal 16’000 Meter teuren Fantasiegeweben kurz vor den Sommerferien». Das Minimum waren 600 Meter, meist wurden 1200 oder 1400 Meter geordert. Jucker: «Wir haben alle Materialien verarbeitet, Baumwolle, Flachs, Leinen, Kunstfasern. Alles ausser Seide». Eingekauft wurde direkt bei den Spinnereien oder mit grösseren Garnkontrakten bei Händlern, je nach Marktlage.

Investitionen in neuere Technologie
Als die Juckers den Betrieb übernahmen, war alles veraltet und sie mussten eigentlich alles erneuern. Hans-Felix Jucker: «Nicht nur die Webmaschinen, auch die Vorbereitungsstufen das Vor- und Spulwerk, die Schlichterei – dort werden die Fäden durch einen Leim gezogen, um sie für den Webvorgang zu stärken – und die Tuchschauerei». So haben sie laufend in verbesserte Technologien investiert. Doch irgendwann wurden sie für die Maschinenhersteller uninteressant, weil das Unternehmen zu klein war.
Um 1900 beschäftigte die Weberei Grünthal noch über 200 Mitarbeitende, 1968 waren es noch 125 und 1984 60 Personen. Schon 1867 wurde die betriebseigene Krankenkasse eingeführt und 1918 eine Personalfürsorgestiftung mit einem Kapital von 150’000 Franken. Die Mietzinse in den Wohnungen und Kosthäusern waren günstig, Wasser und eigener Strom aus der Töss wurde zu kleinen Tarifen zur Verfügung gestellt.

Zusammenbruch einer Industrie
Die Textilindustrie in der ganzen Schweiz begann zu bröckeln, im Ausland wurde billiger produziert, die vielen Fabriken waren zu klein, um zu überleben. 1988 haben die Brüder Jucker den Betrieb geschlossen, nachdem sie Know-how und Maschinen verkaufen konnten. Und – «Wir haben noch alle unsere Leute untergebracht». Emotional habe das sehr geschmerzt, rational sei es gut gewesen. Sie führten noch den Handel mit Breitgewebe zum Bespannen von Wänden und Decken weiter, doch «das Herzblut war weg». Hans-Felix Jucker hat die Geschichte ihrer Weberei in zwei Bänden dokumentiert.
SRF realisierte das Projekt in Juckern, weil die Örtlichkeit ideal war: auf kleinstem Raum finden sich Fabrikantenvilla, Fabrik, Kosthäuser und Wirtschaft. Zudem konnten sie von den zahlreichen dokumentierten Details profitieren. Jetzt sind die Juckers auf die Sendungen gespannt, schliesslich wird ein Zeitabschnitt dargestellt, der ihre Vorfahren direkt betrifft. Allerdings gehrt es nicht im ihr Werk sondern allgemein um den Zustand um 1914. Jucker: «Es war nicht alles gut, aber auch nicht alles schlecht».

Literatur
Hans-Felix Jucker: «Das Rad der Zeit» – Die Geschichte der Weberei Grünthal.
Preise: Band I Fr. 24.00; Band II Fr. 38.50; I & II zusammen Fr. 48.00; exkl. Porto und Verpackung.
Zu beziehen beim Autor. hfjucker@ggaweb.ch

Erschienen in «Der Tößthaler», August 2014

 

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