Hinreissende Szenen aus dem Leben einer Zirkusgemeinschaft

guylang —  8. April 2016 — Kommentiere

Der Circolino Pipistrello eröffnet seine neue Spielzeit – ein untrügliches Zeichen, dass der Frühling da ist. Das Publikum strömt in Scharen ins Schöntal: zur Vorpremiere und den beiden Premieren am letzten Samstagnachmittag und -abend kamen etwa 1050 Personen, das heisst, das Zelt war dreimal proppenvoll.

Vor dem Zelt kl

Kaum wird es im Zelt dunkel, pfeift, johlt und klatscht das Publikum, die Vorfreude auf die neuste Produktion «C’est Nous» ist enorm. Und dann beginnt die Aufführung. In der Manege wird Zeitung gelesen, Betten werden bezogen, der Tisch wird gedeckt, Besteck klappert, Gläser und Teller rumgereicht, Stühle bereitgestellt, aus einer Fastfood-Box Chinesisches gegessen. Alltag halt, der Alltag im Schöntal, der Alltag der Pipistrellis, die dort leben.

Auf der Rolle kl

Hochbegabte Truppe
Doch so ganz «normal» ist dieses Alltagsleben nicht. Denn rhythmisch raschelndes Zeitungspapier verdichtet sich zum swingenden Jazzsound, von einer Stehlampe, die bürgerliche Idylle verbreitet, löst sich der Schirm, schwebt zum Himmel und wird hoch oben zur Tanz- und Spielfläche für zwei Tänzerinnen, das Fixleintuch wird zur Verkleidung für zirzensisches Treiben.
Da wirbeln Teller, Besteck und Gläser durch die Luft, wird ein Tisch zu einer Bank umgebaut, auf der sich das ganze Ensemble hinfläzt. Was die Artistinnen und Artisten dieser hochpräzisen und technisch hochbegabten Truppe in die Finger kriegen, verwandelt sich zu einem Requisit für spielerische Akrobatik. Kissen formieren sich zu einem poetischen Tanz, ein Brett auf einer Rolle dient als beweglicher Untergrund für eine Jongliernummer. Und wenn mal etwas nicht klappt, wird es einfach wiederholt. Jede Möglichkeit wird ausgelotet, wie sich ein simpler, unspektakulärer Gegenstand – beispielsweise ein metallener Müllkübel – zu einem Partner für Kunststücke entpuppen kann. Da werden Flaschen nicht einfach auf den Tisch gestellt, nein, ein Künstler spaziert auf ihnen, stellt einen Stuhl auf sie und hockt sich auf diesen. Eine geniale Nummer.
Überhaupt erinnern einige Szenen an die frühen Anfänge des Cirque du Soleil, der in den Neunzigerjahren des letzten Jahrhunderts am Zürcher Theaterspektakel gastiert hat.

Circolino Pipistrello kl

Vertrauen und Musikalität
Das Können der Mitspielerinnen und Mitspieler – zwischen Clownerie und Akrobatik – ist auf einem sehr hohen Niveau, die Spielfreude ansteckend, die Konzentration bewundernswert. Jede der 17 auftretenden Personen verkörpert mit einem unverwechselbaren Kostüm ihren ureigenen Charakter, der durch den Abend durchgezogen wird. Da gibt es etwa – um nur einige zufällig Ausgewählte zu nennen – den Träumer, der mit seinem Besen durch die Manege schwebt, die schrille Salsa-Tänzerin, der Schüchterne, der durch die Szene huscht oder die Melancholische, die alles mit einem todernsten Gesicht verrichtet. Ihr Zusammenspiel ist von grossem Vertrauen geprägt, klettern sie doch auf- und übereinander, lassen sich blind fallen, werden aufgefangen und wieder hoch geworfen.
Was wäre ein Zirkus ohne Musik? Selbstverständlich übernehmen die siebzehn Menschen verschiedene Instrumente und untermalen die Szenen musikalisch selber. Da wird geblasen, getrommelt, gezupft, gestrichen und gesungen, dass es eine Freude ist. Mal laut, mal zart, mal eintönig, mal mit vollem Orchester. Dafür verantwortlich zeichnen Marc Bänteli und Roman Naef, die ihre Truppe musikalisch im Griff haben. Als Ideengeber und Regieführende nennt das hübsche Programmheft Ursina Kappenberger und Baptiste Raffanel.
Doch «C’est Nous» ist nicht nur die Zirkusvorstellung. Dazu gehört auch die Szenerie rund um das Zelt – mit dem von Hand betriebenen Karussell, dem Duft aus der Garküche, den Gummibärlispiessen und den Hühnern, die zwischen den Wohnwagen picken. Und so gilt das grosse Lob für diesen hinreissenden und wunderbaren Abend dem Zusammenspiel aller, die das Publikum zu begeistern und die zauberhafte Atmosphäre immer wieder herbei zu zaubern wissen.

Erschienen in «Der Tößthaler», 7. April 2016

 

Bildstrecke

 

Muellkuebelnummer kl

Akrobatik kl

Huehner 2 kl

Ensemble bei Tisch kl

Stuhlberg kl

 

Diabolo kl

Am Tisch kl

Ensemble kl

Huehner kl

Stuhlberg kl

 

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