Mord im Irrenhaus – Neumarkt-Kritik von 1994

guylang —  23. September 2016 — Kommentiere

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Premiere von Peter Weiss im Neumarkt-Theater Zürich

Zürich – Revolution oder Kopulation? Diese Frage stellt das Drama von Peter Weiss «Die Verfolgung und Ermordung des Jean Paul Marat, dargestellt durch die Schauspielgruppe des Hospizes zu Charenton unter der Anleitung des Herrn de Sade». Premiere war am 5. November 1994.

Das Hospiz zu Charenton entpuppt sich als Heilanstalt, die Darsteller sind Insassen. Sie leiden unter den verschiedensten Krankheiten wie Paranoia, Schlafsucht oder Depression. Marquis de Sade hat «zur Erbauung der Kranken ein Drama ersonnen und instruiert», wie Coulmier, der Direktor der Anstalt, dem Publikum erklärt. Darin stellt de Sade seiner Idee von Individualität des Menschen gegen den Kollektivanspruch der Revolution.

Verkörpert wird dieser Gegenpol von Jean Paul Marat, einem historischen Revolutionär. Er sitzt in der Badewanne, da er ständig von Juckreiz geplagt ist. Simonne Evrard schirmt ihn vor den Menschen ab. Schliesslich gelingt es jedoch Charlotte Corday, zu Marat vorgelassen zu werden. Sie erstickt den Fanatiker, weil es dem Volk trotz der Versprechen der Revolutionäre immer noch schlecht geht.

Stephan Müller hat inszeniert: zurückhaltend, konzentriert, spannend. Er verlegt die Handlung von 1793 in die Gegenwart und verzichtet auf naturalistische Krankheitsbilder. Sehr deutlich unterscheidet er die verschiedenen Ebenen – die Auseinandersetzungen zwischen den Anstaltsinsassen einerseits und das Theater-Spiel der Insassen über die Diskussion zwischen de Sade und Marat andererseits. Der Raum von Lukas Dietschy ist schlicht, ein Parkettboden, graue Wände, geschlossene Türen. Die Badewanne ist einem fahrbaren Holzstuhl gewichen, die Darstellerinnen und Darsteller sind schwarzweiss gewandet und spielen barfuss.

Das Spiel ist von einer eindringlichen Kompaktheit. Die Sprache wird oft rhythmisiert und chorisch eingesetzt. Reinhard von Hacht hat als Direktor die Fäden in der Hand.

Wenn die Patienten ausflippen und aus dem Stück im Stück aussteigen. Lässt er schon mal das Zuschauerlicht anschalten oder eine Beruhigungsspritze verabreichen. Ingold Wildenauer spielt den de Sade – zynisch, resigniert.

Volker Lösch als fanatisierter Marat und Isabelle Menke als mordende Charlotte Corday stehen hie stellvertretend für die überzeugende Geasmtheit des Ensembles.

Erschienen im «Blick», 7. November 1994

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