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Premiere von Peter Weiss im Neumarkt-Theater Zürich

Zürich – Revolution oder Kopulation? Diese Frage stellt das Drama von Peter Weiss «Die Verfolgung und Ermordung des Jean Paul Marat, dargestellt durch die Schauspielgruppe des Hospizes zu Charenton unter der Anleitung des Herrn de Sade». Premiere war am 5. November 1994.

Das Hospiz zu Charenton entpuppt sich als Heilanstalt, die Darsteller sind Insassen. Sie leiden unter den verschiedensten Krankheiten wie Paranoia, Schlafsucht oder Depression. Marquis de Sade hat «zur Erbauung der Kranken ein Drama ersonnen und instruiert», wie Coulmier, der Direktor der Anstalt, dem Publikum erklärt. Darin stellt de Sade seiner Idee von Individualität des Menschen gegen den Kollektivanspruch der Revolution.

Verkörpert wird dieser Gegenpol von Jean Paul Marat, einem historischen Revolutionär. Er sitzt in der Badewanne, da er ständig von Juckreiz geplagt ist. Simonne Evrard schirmt ihn vor den Menschen ab. Schliesslich gelingt es jedoch Charlotte Corday, zu Marat vorgelassen zu werden. Sie erstickt den Fanatiker, weil es dem Volk trotz der Versprechen der Revolutionäre immer noch schlecht geht.

Stephan Müller hat inszeniert: zurückhaltend, konzentriert, spannend. Er verlegt die Handlung von 1793 in die Gegenwart und verzichtet auf naturalistische Krankheitsbilder. Sehr deutlich unterscheidet er die verschiedenen Ebenen – die Auseinandersetzungen zwischen den Anstaltsinsassen einerseits und das Theater-Spiel der Insassen über die Diskussion zwischen de Sade und Marat andererseits. Der Raum von Lukas Dietschy ist schlicht, ein Parkettboden, graue Wände, geschlossene Türen. Die Badewanne ist einem fahrbaren Holzstuhl gewichen, die Darstellerinnen und Darsteller sind schwarzweiss gewandet und spielen barfuss.

Das Spiel ist von einer eindringlichen Kompaktheit. Die Sprache wird oft rhythmisiert und chorisch eingesetzt. Reinhard von Hacht hat als Direktor die Fäden in der Hand.

Wenn die Patienten ausflippen und aus dem Stück im Stück aussteigen. Lässt er schon mal das Zuschauerlicht anschalten oder eine Beruhigungsspritze verabreichen. Ingold Wildenauer spielt den de Sade – zynisch, resigniert.

Volker Lösch als fanatisierter Marat und Isabelle Menke als mordende Charlotte Corday stehen hie stellvertretend für die überzeugende Geasmtheit des Ensembles.

Erschienen im «Blick», 7. November 1994

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Hinreissende Szenen aus dem Leben einer Zirkusgemeinschaft https://www.guylang.ch/?p=1654 https://www.guylang.ch/?p=1654#respond Fri, 08 Apr 2016 12:10:09 +0000 http://www.guylang.ch/?p=1654 Der Circolino Pipistrello eröffnet seine neue Spielzeit – ein untrügliches Zeichen, dass der Frühling da ist. Das Publikum strömt in Scharen ins Schöntal: zur Vorpremiere und den beiden Premieren am letzten Samstagnachmittag und -abend kamen etwa 1050 Personen, das heisst, das Zelt war dreimal proppenvoll.

Vor dem Zelt kl

Kaum wird es im Zelt dunkel, pfeift, johlt und klatscht das Publikum, die Vorfreude auf die neuste Produktion «C’est Nous» ist enorm. Und dann beginnt die Aufführung. In der Manege wird Zeitung gelesen, Betten werden bezogen, der Tisch wird gedeckt, Besteck klappert, Gläser und Teller rumgereicht, Stühle bereitgestellt, aus einer Fastfood-Box Chinesisches gegessen. Alltag halt, der Alltag im Schöntal, der Alltag der Pipistrellis, die dort leben.

Auf der Rolle kl

Hochbegabte Truppe
Doch so ganz «normal» ist dieses Alltagsleben nicht. Denn rhythmisch raschelndes Zeitungspapier verdichtet sich zum swingenden Jazzsound, von einer Stehlampe, die bürgerliche Idylle verbreitet, löst sich der Schirm, schwebt zum Himmel und wird hoch oben zur Tanz- und Spielfläche für zwei Tänzerinnen, das Fixleintuch wird zur Verkleidung für zirzensisches Treiben.
Da wirbeln Teller, Besteck und Gläser durch die Luft, wird ein Tisch zu einer Bank umgebaut, auf der sich das ganze Ensemble hinfläzt. Was die Artistinnen und Artisten dieser hochpräzisen und technisch hochbegabten Truppe in die Finger kriegen, verwandelt sich zu einem Requisit für spielerische Akrobatik. Kissen formieren sich zu einem poetischen Tanz, ein Brett auf einer Rolle dient als beweglicher Untergrund für eine Jongliernummer. Und wenn mal etwas nicht klappt, wird es einfach wiederholt. Jede Möglichkeit wird ausgelotet, wie sich ein simpler, unspektakulärer Gegenstand – beispielsweise ein metallener Müllkübel – zu einem Partner für Kunststücke entpuppen kann. Da werden Flaschen nicht einfach auf den Tisch gestellt, nein, ein Künstler spaziert auf ihnen, stellt einen Stuhl auf sie und hockt sich auf diesen. Eine geniale Nummer.
Überhaupt erinnern einige Szenen an die frühen Anfänge des Cirque du Soleil, der in den Neunzigerjahren des letzten Jahrhunderts am Zürcher Theaterspektakel gastiert hat.

Circolino Pipistrello kl

Vertrauen und Musikalität
Das Können der Mitspielerinnen und Mitspieler – zwischen Clownerie und Akrobatik – ist auf einem sehr hohen Niveau, die Spielfreude ansteckend, die Konzentration bewundernswert. Jede der 17 auftretenden Personen verkörpert mit einem unverwechselbaren Kostüm ihren ureigenen Charakter, der durch den Abend durchgezogen wird. Da gibt es etwa – um nur einige zufällig Ausgewählte zu nennen – den Träumer, der mit seinem Besen durch die Manege schwebt, die schrille Salsa-Tänzerin, der Schüchterne, der durch die Szene huscht oder die Melancholische, die alles mit einem todernsten Gesicht verrichtet. Ihr Zusammenspiel ist von grossem Vertrauen geprägt, klettern sie doch auf- und übereinander, lassen sich blind fallen, werden aufgefangen und wieder hoch geworfen.
Was wäre ein Zirkus ohne Musik? Selbstverständlich übernehmen die siebzehn Menschen verschiedene Instrumente und untermalen die Szenen musikalisch selber. Da wird geblasen, getrommelt, gezupft, gestrichen und gesungen, dass es eine Freude ist. Mal laut, mal zart, mal eintönig, mal mit vollem Orchester. Dafür verantwortlich zeichnen Marc Bänteli und Roman Naef, die ihre Truppe musikalisch im Griff haben. Als Ideengeber und Regieführende nennt das hübsche Programmheft Ursina Kappenberger und Baptiste Raffanel.
Doch «C’est Nous» ist nicht nur die Zirkusvorstellung. Dazu gehört auch die Szenerie rund um das Zelt – mit dem von Hand betriebenen Karussell, dem Duft aus der Garküche, den Gummibärlispiessen und den Hühnern, die zwischen den Wohnwagen picken. Und so gilt das grosse Lob für diesen hinreissenden und wunderbaren Abend dem Zusammenspiel aller, die das Publikum zu begeistern und die zauberhafte Atmosphäre immer wieder herbei zu zaubern wissen.

Erschienen in «Der Tößthaler», 7. April 2016

 

Bildstrecke

 

Muellkuebelnummer kl

Akrobatik kl

Huehner 2 kl

Ensemble bei Tisch kl

Stuhlberg kl

 

Diabolo kl

Am Tisch kl

Ensemble kl

Huehner kl

Stuhlberg kl

 

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Cover Alex Capus: «Mein Nachbar Urs», dtv https://www.guylang.ch/?p=1605 https://www.guylang.ch/?p=1605#respond Mon, 16 Nov 2015 06:06:51 +0000 http://www.guylang.ch/?p=1605 Cover Alex Capus

 

Die Anfrage, ein Zitat aus meiner Besrechung in der «SonntagsZeitung» zu verwenden, kam unerwartet und hat mich ausserordentlich gefreut.

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Pipistrello: Kubik – die akrobatisch-poetische Welt der Würfel https://www.guylang.ch/?p=1525 https://www.guylang.ch/?p=1525#respond Fri, 03 Apr 2015 12:34:18 +0000 http://www.guylang.ch/?p=1525 Ein ausverkauftes Zelt am Nachmittag, etwa 300 Personen am Abend – der Circolino Pipistrello lockt das Publikum mit dem neuen Programm «Kubik» in Scharen nach Schöntal. Am letzten Sonntag war die Saisonpremiere – um es vorwegzunehmen: ein Ensemble in Hochform, tosender Applaus, rundum beglückte Zuschauerinnen und Zuschauer.

Pipistrello und die Wuerfel

Pipistrello und die Wuerfel

Stellen Sie sich einen lauen Frühlingsabend vor, langsam dämmert es sanft, die Lichter von Karussell, Essensstand und Zelteingang entfalten ihre Leuchtkraft, kleine Mädchen mit Krönchen im Haar knabbern Gummibärchenspiesse, fröhliche Menschen sitzen an langen Holztischen, plaudern und stärken sich mit Wein, Bier, und Würsten, die Zirkusband Gypsolino Circolüner stimmt musikalisch ein und alle warten auf den Vorstellungsbeginn. Die Stimmung ist zauberhaft, friedlich und wunderbar.
Dem war leider am Premierentag nicht so: das Wetter zeigte sich garstig, der Wind blies unangenehm, der Regen trommelte aufs Zeltdach. Doch der Stimmung im Winterquartier von Pipistrello konnte das keinen Abbruch tun. Sie war – wie oben beschrieben – zauberhaft, friedlich und wunderbar.

Zwei Welten – Bunt gegen Grau
Fünf grosse Würfel – orange, gelb, blau, grün und rot – stehen in der Manege. Plötzlich bewegen sich die Wände, man sieht Finger, dann Arme und schliesslich krabbeln Figuren heraus. Sie scheinen direkt aus der Commedia dell’arte entsprungen. Da gibt es einen trotteligen Alten, der seine hübsche Tochter Louisa an ihrem Geburtstag vermählen will. Dafür wird ein grosses Fest organisiert, zu dem alle – ausser den Grauen – eingeladen sind. Denn die sind businessorientiert, cool, ihr Motto: «Zeit ist Geld», tanzen, lieben oder spielen sind Verschwendung. Doch ausgerechnet Louisa verliebt sich in einen Grauen. Der Konflikt zwischen den zwei Welten ist vorprogrammiert.

Die Grauen

Die Grauen

Die hohe Kunst der Körperbeherrschung
Diese Geschichten ist für die siebzehn Menschen der Truppe und ihre Regisseure Josua Goenaga und Manuel Schunter Anlass für einen artistisch hochstehenden, musikalisch animierenden und optisch hinreissenden Abend. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Da werden Jonglierkeulen zu Champagnerflaschen, Küchensiebe zu Insektenähnlichen Augen, Schirme zu Waffen, bunte Stofffetzen zu Zeiteinheiten. Mit beeindruckender Körperbeherrschung zeigten die Artistinnen und Artisten ihr anspruchsvolles Können. Und die Truppe hat sich gegenüber letztem Jahr gesteigert, man merkt, dass konzentriert und viel gearbeitet wurde. Sie wirkt kompakter, das Stück abstrakter und anspruchsvoller in der artistischen Leistung. Mit grossem Enthusiasmus und Präzision kommen die Tanznummern daher, es wird durcheinander gewuselt, mit Plastikröhren rhythmisch exakt musiziert. Und der grosse Kampf – Graue gegen Bunte – ist eine durchdachte und präszis ausgeführte Choreographie. Um zu wissen, was mit Würfeln aus Stahlrohren alles möglich ist, wie man sie betanzen, besteigen und bespielen kann, nur schon dafür lohnt ein Besuch der Aufführung.

Die Bunten und die Grauen machen Musik

Die Bunten und die Grauen machen Musik

Das Spiel mit Witz und Poesie
Überhaupt: alle Beteiligten spielen mehrere Instrumente, von Wagnertuben über Cello, Saxophon, Handharmonika zum Schlagzeug. Und es wird gesungen, was die Lunge hergibt. Die Begeisterung aus der Manege wirkt ansteckend auf das Publikum im Zelt. Es klatscht im Takt, Kinder kommentieren und geben den Spielenden Hinweise zum Geschehen im Hintergrund.
Selbstverständlich kommt die Poesie nicht zu kurz. Etwa wenn venezianisch anmutende, weiss gekleidete, mit Vogelmasken versehene Figuren auf Stelzen durch den Nebel staken. Faszinierend unheimlich wird es, wenn Feuerräder im Dunkeln wirbeln und lustig, wenn aus einem roten Würfel ein Kopf schaut und dieser rauf und runter geworfen wird. Oder wenn ein Würfel plötzlich Beine und einen Oberkörper erhält und weg marschiert.
Wie der Krieg zwischen Bunt und Grau zu einem guten Ende kommt, sollte man sich selber ansehen.
Jetzt tourt der Circolino Pipistrello durch die Schweiz und motiviert Jugendliche, Menschen mit Behinderungen und ältere Menschen zum Mitmachen, Mitfreuen und Mitlachen. Der Start ist gelungen.

Erschienen in «Der Tößthaler», 2. April 2015

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Sargnagel Susi und das Testament https://www.guylang.ch/?p=1514 https://www.guylang.ch/?p=1514#respond Thu, 26 Mar 2015 09:46:34 +0000 http://www.guylang.ch/?p=1514 «Morde heute, erbe morgen» ist das Motto von Hans Gmürs Krimikomödie «Rabeneck». Am letzten Samstag präsentierte das Ensemble Pirg vor ausverkauftem Turnsaal im Schulhaus Schmidrüti die Premiere: ein begeisternder Abend mit bester Unterhaltung.

Das_Ensemble klein

Ensemble Pirg

Die Pirger Abendunterhaltung ist legendär. Zahlreich strömen die Gäste, um die einmalige Stimmung zu geniessen – aus der näheren Umgebung, dazu von weit her die Auswärtigen, aus dem St. Gallischen und dem Thurgau. Imposant ist auch die Zahl der Sponsoren: 43 Gönnerinnen und Gönner zeugen von Beliebtheit und Wichtigkeit des Anlasses. Und sie kommen alle auf ihre Kosten. Das beginnt bei den ausgezeichneten Älplermagronen mit Apfelmus über köstliche, selbstgemachte Torten und Kuchen, einer ausgesprochen reichhaltigen Tombola bis zum Tanz mit dem frisch aufspielenden Albin Hasler. Und selbstverständlich mit dem locker von der Leber weg gespielten Stück «Rabeneck».

Ein Testament inspiriert die Fantasie
Es ist spannend: im abgelegenen Hotel Rabeneck logiert der alternde, aber dank der Klatschillustrierten noch bekannte Hollywoodstar Hector Lorenz mit seiner blonden Begleitung Uschi Schnebeli. Mit Hilfe des Journalisten Bruno Hirzel will er seine Memoiren verfassen. Hoteldirektor Max Hügi und Barmaid Carmen verwöhnen ihren Gast. Abgestiegen ist auch Dr. Urs Castelberg, der statt einen Kongress zu besuchen lieber die Nähe von Carmen sucht. Da platzt Frl. Susanna Oberholzer in diese Einsamkeit, sie hat die Berühmtheit aufgespürt und sich ihm auf die Fersen geheftet. Die Nähschullehrerin schreibt Krimis und ist begeisterte Hobbydichterin. In Leserkreisen ist sie als «Sargnagel Susi, die Lehrerin mit der Leiche im Schrank» bekannt. Sie verfügt über eine glasklare, scharfe Logik und weiss, dass Hector Lorenz ein Testament hinterlässt, das Menschen äusserst grosszügig bedenkt, die ihm in den letzten Tagen vor dem Hinschied Liebes, Nettes zukommen liessen – und vor allem der Dame, die zuletzt sein Bett teilt. Dieses Wissen weckt in allen Anwesenden Begehrlichkeiten. Sie schmieden Pläne und Strategien, um ans winkende Vermögen zu kommen…

Publikum

Im Publikum

Hochmotiviertes Ensemble
Schüttelreime wie «Es war einmal ein braver Hai, frass statt Menschen Haferbrei», Situationskomik, überraschende Wendungen und eine liebevolle Sorgfalt zu Details – so prangt auf einem herumhängenden, echten «Blick» die auf das Stück bezogene Schlagzeile «Hector hinter der Kulisse» –, sorgen für zahlreiche Lacher im Publikum. Dazu das hochmotivierte Ensemble: Fredi Gadient als graumelierter Star, Yvonne Meier als hübsche, Männer verführende Blondine, Michi Lauener als geschniegelter Journalist, Silvano Lehmann als souveräner Hoteldirektor, Nicole Erne als spielfreudig überzeugende Carmen sowie Andri Furrer als zynischer Arzt auf Seitensprung. Und dann Conni Zängeler, die überlegene, intelligente und der Improvisation mächtige treibende Kraft Susanna Oberholzer. So unterbrach sie beispielsweise die Handlung, weil ein Subaru falsch parkiert war und stieg problemlos wieder in ihre Rolle ein.
Die gemeinsam geführte Regie war schlüssig, Sturmwinde rauschten gruselig vor dem Hotel, der Schluss des zweiten Aktes war professionell getimt: Dunkel, eine fallende Person, Vorhang, Licht im Saal, Pause, Spannung. Ein Aktschluss nach allen Regeln der Kunst.
Dass sich nach der Vorstellung die Darstellerinnen und Darsteller unters Publikum mischten, sich stärkten und plauderten, verstärkt den authentischen, sympathischen und familiären Charakter dieses einmaligen Theaterereignisses. Und dass ein Schneegestöber die Heimfahrenden überraschte, war wie ein weiterer Regieeinfall von diesem herzigen Geheimtipp.

Erschienen in «Der Tößthaler», 26. März 2015

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Buddenbrooks – Bestimmung und Pflichterfüllung https://www.guylang.ch/?p=1507 https://www.guylang.ch/?p=1507#respond Thu, 19 Feb 2015 12:24:46 +0000 http://www.guylang.ch/?p=1507 Contenance, Arbeit und Geschäftssinn – Maximen, denen Leben der Buddenbrooks untergeordnet war. Der Roman vom Aufstieg und Niedergang der Lübecker Kaufmannsfamilie brachte Thomas Mann den Literaturnobelpreis ein, die Bühnenadaption von John von Düffel dem Theater des Kantons Zürich im ausverkauften Eichhaldensaal starken Applaus.

© Toni Sutter / TT Fotografie

© Toni Sutter / TT Fotografie

Die dramatisierte Fassung konzentriert sich auf die letzten Mitglieder der Familie: Konsul und Konsulin Buddenbrooks, den Sohn Thomas, der mit ehrgeizigem Gespür für Karriere und Finanzen die Firma weiter führt, die Tochter Tony, anspruchsvoll und unglücklich in ihren Ehen, sowie den in den Augen der Familie missratenen Sohn Christian, der sich statt um Zahlen für Gefühle der Menschen interessiert. Die Auswahl erweist sich als dramaturgisch und theatralisch sehr glücklich, denn sie sorgt für einen spannenden Theaterabend ohne ausufernd zu werden.

Guter Ruf und gutes Geschäft
Kay Neumann hat diese Vorlage schlüssig und empathisch inszeniert, seine Regie lässt den Abend zu einem geglückten Ereignis werden. Er versetzt die Handlung in eine heutige Zeit und erreicht so aktuelle Bezüge zu den volatilen Zuständen der modernen Geschäftswelt. Das gutbürgerliche Konsulpaar verheiratet aus firmenpolitischen Gründen Tony, trotz deren Abneigung, mit dem Hamburger Geschäftsmann Grünlich. Als er sich als berechnender Mitgiftjäger entpuppt, ist der Konsul nicht mehr bereit ihn zu stützen und lässt ihn in Konkurs gehen. Der gute Ruf bleibt gewahrt, die Familie intakt, das Geschäft leidet kaum. Als Thomas die Familie als Oberhaupt führt, geht es bergab. Seine Frau lässt sich mit einem Offizier ein, die Mutter wird religiös und stiftet ihr Vermögen der Kirche und Christian ist als Geschäftsmann völlig untauglich. So schwinden langsam Ruf und Vermögen.

 

© Toni Sutter / TT Fotografie

© Toni Sutter / TT Fotografie

Spielfreudiges Ensemble
Neumann kann auf ein homogenes Ensemble aus acht Personen zurückgreifen die er präzise führt. Katharina von Bock und Stefan Lahr sind wunderbar vornehme Eltern, Miriam Wager spielt die verwöhnte Tochter äusserst wandelbar und lebendig. Sehr überzeugend Nicolas Batthyany als Thomas, während Gerrit Frers Christian manchmal etwas überzogen wirkt. Vera Brommer, Andreas Storm und Pit Arne Pietz erweisen sich als überaus wandelbar und charakterisieren diverse Personen – Dienstmädchen, Ehemänner, Ehefrau, Bankiers, Liebhaber etc. – genau und ansprechend. Einen besonderen Auftritt hat Stefan Lahr noch als Kind, er verkörpert seinen Enkel und Sohn von Thomas.
Monika Frenz hat einen Raum ersonnen, der schlicht und dennoch höchst praktikabel und einleuchtend ist: eine Spielfläche, auf der sich jeweils das aktuelle Geschehen abspielt Darum herum sind verschiedenartige Sitzgelegenheiten drapiert, wo sich die an der Szene nicht beteiligten Personen befinden. Ihre Präsenz vermittelt eine faszinierende Geschlossenheit, welche die Aufführung prägt.

Erschienen in «Der Tößthaler», 19. Februar 2015

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Der Poet mit dem Schalk https://www.guylang.ch/?p=1478 https://www.guylang.ch/?p=1478#respond Mon, 03 Nov 2014 20:20:43 +0000 http://www.guylang.ch/?p=1478 Pic – der Name steht für den Clown mit den Seifenblasen. Doch sein Spektrum viel grösser ist. Pic verzaubert in seinem Programm «Komische Knochen» – ebenfalls als Buch erschienen – mit leisen Tönen, poetisch-melancholischen Texten und wunderbarem Charme.

PIC © Janosch Hugi

PIC
© Janosch Hugi

Es ist ein stiller Abend, wer einen lauten, klamaukigen Clown mit grossen Schuhen und roter Nase erwartet hat, kommt nicht auf seine Rechnung. Es tritt ein schlaksiger, distinguierter Herr mit einer Brille in der Hand auf. Er plaudert, bis man feststellt, dass seine Brille fest an der Hand klebt. Die Qualität des Sekundenklebers, mit dem er den Bügle flicken wollte, sei wirklich ausgezeichnet, referiert er. Und schliesslich entfalle die lästige Brillensuche.
Mit dieser und weiteren, teils skurrilen, teils fast absurden, Geschichten gelingt es Pic Zuschauerinnen und Zuschauer zu bannen. Die Frage bleibt: ist er nun ein Clown, Poet, Pantomime oder scharf beobachteter Chronist menschlicher Eigenheiten?

Musik, Pantomime und Menschliches
Er spielt Saxofon, unter anderem ein Sopranino, das schrecklich schrill quietscht. Er stülpt sich verschiedene Masken über und zeigt stumm den dazugehörigen Charakter. Er schildert Erlebnisse aus seinem Zirkusleben bei Roncalli, sei es eine schmerzhafte Zahngeschichte oder ein verspieltes Rencontre mit den russischen Tänzerinnen in einem Thermalbad. Auch alltägliche Situationen kommen zur Sprache, welche ernsthafte menschliche Probleme aufdecken. Etwa ob es in einem Kiosk Platz für ein WC hat und wie die – meist – Kioskfrauen damit umgehen. Oder unter dem Titel «Präsidiale Worte», wie sich nicht genannte, aber erkennbare Politiker wortreich bei unangenehmen Fragen aus der Verantwortung mogeln.

Reimendes Publikum
Er singt kleine Lieder in denen sein Schalk aufblitzt, beispielsweise das vom Banker und dem Skelett, beide sind kokett. Oder vom Gartenhaus und dem Omelett, worauf sich adrett reimt. Und er lässt die Leute im Publikum mitsingen. Mehr noch: sie sind aufgefordert mit zu dichten. Pic singt den ersten Satz vor und erwartet im zweiten einen Beruf der sich darauf reimt. Er: «Du liebst Frau’n», aus dem Publikum: «Dann bist Du ein Clown».
Selbstverständlich kommt auch sein Markenzeichen, die Seifenblase zum Zug. Es ist faszinierend, sein Gesicht und seine Augen zu beobachten, wenn er verzückt den kleinsten Seifenblasen der Welt nach schaut. Ein charmanter, stiller Abend.

Erschienen in «Der Tößthaler», 1. November 2014

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Bewegende Serenade rund um Romeo und Julia https://www.guylang.ch/?p=1369 https://www.guylang.ch/?p=1369#respond Thu, 29 May 2014 15:53:30 +0000 http://www.guylang.ch/?p=1369 Der Tösstaler Kammerchor und die Liebe
Andrea Klapproth und der Tösstaler Kammerchor unter der Leitung von Andreas Zwingli gestalteten am letzten Donnerstag einen stimmungsvollen Abend rund um das grosse und wichtige Thema «Liebe». Sie liest aus Gottfried Kellers bekannter Erzählung «Romeo und Julia auf dem Dorfe», er umrahmt mit ausgesuchten Liedern von «Michelle» bis «S’ Vreneli ab em Guggisberg».

© Guy A. Lang

© Guy A. Lang

 

Rote und gelbe Rosen strahlen um die Wette, blauer Lavendel wiegt sich leicht im Wind, Wolken dräuen am Himmel – die Atmosphäre im Park des Gasthauses «Gyrenbad» ist einmalig. Wenn nur das Wetter etwas beständiger wäre. Doch vielleicht hält sich der Regen ja zurück. Denn, wie Ruth Blattmann in ihrer Begrüssungsansprache erläutert, hat der Chor einen guten Draht nach oben. Die Gyrenbadserenade musste in ihrer langen Tradition noch nie in den Saal verlegt werden. Und so hofft sie, dass der Reigen von Liebensliedern auch diesmal gut über die Runden kommt. Beruhigt verfolgen die etwa 70 Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Holzbänken im Garten – zählt man die Gäste auf der Terrasse des Restaurants dazu, dürften es an die 100 Personen sein – aufmerksam was ihnen geboten wird.

Vom Winde verweht
Schon kurz nach Beginn des Konzertes verbläst ein Windstoss die Noten von Andreas Zwingli, so dass er sein Instrument sein lässt und den a-capella-singenden Chor nur noch dirigiert. Da zeigt sich auch die Stärke des Chores, sie singen sicher, gut einstudiert und lassen sich von Regentropfen nicht beirren. Leider ist das Stimmregister nicht sehr ausgeglichen: den 15 Sängerinnen stehen nur vier Sänger gegenüber, die sich allerdings gut behaupten. Es ist zu wünschen, dass sich einige im Publikum noch dazu entschliessen, den Chor zu verstärken.

Packende Lesun
Sprachkünstlerin und Rezitatorin Andrea Klapproth liest die tragische Geschichte von Sali und Vrenchen, den Kindern zweier völlig verzankter Väter, die sich lieben und schliesslich gemeinsam in den Fluss gehen, intensiv und lebendig. Ihre Sprachgestaltung ist sensibel, ihre Interpretation unsentimental und direkt. Umso stärker wirken Gottfried Kellers Sätze und Worte. Andrea Klapproth überzeugt mit ihrer sachlichen und packenden Lesung.
Passend zu den auserwählten Stellen hat Andreas Zwingli die adäquate Musik gesetzt. Neben schweizerischen Volksliedern stehen Gesänge aus der «West Side Story», von Brahms, Frank Lloyd Webber oder «Killing Me Softly with His Song».

Natürliche Begleiterscheinungen
Einen besonderen Reiz verleihen dem Abend einige naturgegebene Nebeneffekte. So gehört nicht nur das Auf- und Zuklappen von Regenschirmen dazu, auch das Tellergeklapper aus dem Restaurant – leider hielt sich der Koch nicht an die Bitte von Ruth Blattmann, die Cordon Bleus im Takt weich zu klopfen – begleitet den künstlerischen Vortrag. Und während bimmelnde Schafe die ländliche Idylle heraufbeschwören, sorgen geräuschvoll überfliegende Airlines für einen Hauch von Internationalität. Und die zwischendurch den Regen vertreibende Abendsonne sorgt für eine weiches, zauberhaft leuchtendes gelb-grün der Bäume. Und pünktlich zum Tessiner Lied «Girometta» zeigte sich zögerlich ein Regenbogen – charmanter kann eine Serenade kaum sein.

Erschienen in «Der Tößthaler»; 24. Juni 2014

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Buchbesprechungen für die «SonntagsZeitung» https://www.guylang.ch/?p=1157 Thu, 01 May 2014 10:18:49 +0000 http://www.guylang.ch/?p=1157 Alle Kurzbesprechungen sind in der «SonntagsZeitung» erschienen

Geschichten aus der Kindheit, Urs Schaub, «Das Lachen meines Vaters», Limmat
Wie ein kleiner Gott fühlt sich der kleine Urs Schaub – als Kind verbrachte er die Sommer auf dem Bauernhof von Verwandten –, als er die angespannten Pferde alleine lenken darf. Sein Onkel hat ihm die Zügel in die Hand gegeben und sich hinten auf den Wagen gesetzt. Doch als sie ankommen ist der Onkel nicht mehr da. Oder er verliebt sich in das schwarz bezopfte Vreneli beim Kühe hüten. Und er erzählt, wie sein Vater das ansteckende Lachen verloren hat. Diese und weitere Kindheitserinnerungen sammelt der Schweizer Schriftsteller in einem kleinen Band. Er zeichnet all die Originalen und – in aller Normalität – aussergewöhnlichen Menschen mit einer meisterhaft beherrschten, lebendigen Sprache, mit der er Gefühle, Tempo und Emotionen steuert.

Roman, Lola Lafon, «Die kleine Kommunistin, die niemals lächelte», aus dem Französischen von Elsbeth Ranke, Piper
Nadia Comǎneci – mit 14 sprengte das rumänische Wunderkind auf dem Schwebebalken die elektronische Anzeigetafel. 10.0 Punkte konnte nicht angezeigt werden, es galt als unmöglich, die Höchstnote zu erreichen. Sie stieg  zum weltweit bejubelten Kinderstar auf, ein Aushängeschild von Ceaușescus Rumänien.
Die französische Journalistin und Autorin Lola Lafon, sie ist in Sofia und Bukarest aufgewachsen, legt mit ihrem Roman die Biografie eines Körpers vor, in dem sie das Leben Nadias mittels zahlreicher Quellen rekonstruiert. Es geht ihr dabei weniger um die Person, mehr interessieren sie das Verhältnis eines kommunistischen Staates zu seinen Aushängeschildern sowie Leiden und Selbstdisziplin bis zur höchsten sportlichen Spitze. Ein faszinierender Weg, sich mit der Vergangenheit ihres Ursprungslandes auseinanderzusetzen.

Erzählungen, Alex Capus, «Mein Nachbar Urs», Hanser
Ein Grill, fünfmal Urs und einmal Alex. In dieser Zusammensetzung treffen sich die Oltener Nachbarn häufig. Sie erzählen, plaudern über alltägliche, gewöhnliche und aussergewöhnliche Dinge und Alex Capus hat das zu einem Band zusammengefasst. Charmant und empathisch kommen die kurzen Geschichten daher, der Schweizer Autor beobachtet genau und erweckt seine Mitmenschen mit einem Augenzwinkern zum Leben. Manchmal wirken die Situationen etwas absurd, oft komisch, immer aber tief menschlich. Etwa wenn die geschiedene Frau von Herbert wieder einen Herbert heiratet und der erste Herbert bei der Trauung dabei ist. Und Capus singt ein Loblied auf Olten, seinen Bahnhof und das überschaubare Leben in der Kleinstadt. Bei der genussvollen Lektüre wird schnell klar: Olten ist überall.

Roman, Urs Zürcher, «Der Innerschweizer», Bilger
Der junge Student ist neu an der Uni Basel, lebt mit Hegel, Mona und Kati in einer WG und führt Tagebuch. Diese Ausgangskonstellation inspirierte den Schweizer Autor Urs Zürcher – er ist Ressortleiter an der Berufsfachschule Basel – bei seinem Debut «Der Innerschweizer» zu einem faszinierenden Roman über die Unruhen der Achtzigerjahre. Die Jugendlichen radikalisieren sich mehr und mehr, schliesslich läuft eine Aktion aus dem Ruder und es kommt zu einem Krieg in der Nordschweiz. Dabei spielt Zürcher raffiniert mit einer Mischung aus Realität, Fiktion, dem banalen WG-Leben mit der Suche nach Liebesbeziehungen und der politischen Konstellation im Kalten Krieg und persönlichen Entwicklungen und Allgemeinheit. Leider führt die Tagebuchform dazu, dass zwischendurch Längen entstehen und sich die Spannung verflacht.

Roman, Gertrud Leutenegger, «Panischer Frühling», Suhrkamp
Strahlender Frühling in London, blauer Himmel, keine Flugzeuge darin, der Vulkan Eyjafjallajökull hat den Flugverkehr lahm gelegt. Der Gedanke an herumfliegende Aschepartikel erinnert die Ich-Erzählerin beim Spazieren durch die pulsierende Stadt an ihre Kindheit in der Schweiz. Und dann fasziniert sie ein junger Mann, der eine Obdachlosenzeitung anbietet – nicht nur wegen einer krankhaft flammend-roten Gesichtshälfte.
Für die Schweizer Schriftstellerin Gertrud Leutenegger ist diese Begegnung der Schlüssel ihres neuen Romans «Panischer Frühling». In stimmungsreicher und poetischer Sprache schildert sie Erinnerungen und Seelenzustand der Protagonisten, ihre Befindlichkeiten und ihre Suche nach sich selber. Dabei entsteht das farbenreiche Leben von Londons Quartieren, Menschen und alltäglichen Ereignissen vor den Augen der Leser.

Roman, Urs Faes, «Sommer in Brandenburg», Suhrkamp
Jung sind sie und verliebt – Lissy und Ron finden sich im Sommer 1938 auf einem Landgut Brandenburg. Dort werden sie und andere Jugendliche vor ihrer Ausreise nach Palästina auf das strenge Leben in einem Kibbuz vorbereitet Zu dieser Zeit duldete die deutsche Regierung diese jüdischen Landwerke noch. In seinem neuen Roman «Sommer in Brandenburg» beschreibt der Schweizer Autor Urs Faes ein wenig bekanntes Kapitel der jüdischen Geschichte im nationalsozialistischen Deutschland mittels einer zarten Beziehung. Es gelingt ihm aller schrecklicher Geschehnisse zum Trotz ein poetisches Buch. Seine Sprache ist sorgfältig, seine Menschen einfühlsam gezeichnet. Und immer wieder keimt in der Tristesse des Alltags die Hoffnung auf ein glückliches Leben in der Ferne.

Roman, Martin R. Dean, «Falsches Quartett», Jung und Jung, 380 S., CHF 34.90
Lucas Brenner ist Deutschlehrer aus Passion, seine Frau Lisa soeben entlassene Bildredaktorin. Während sie verzweifelt nach neuen Wegen in ihrem Leben sucht und schliesslich bei der künstlerischen Porträtfotografie landet, versucht er seinen Schülerinnen und Schülern die Leidenschaft für Literatur einzupflanzen. Dabei stehen vor allem die geheimnisvolle Nadja und Deniz mit seinen türkischen Wurzeln im Mittelpunkt.
Dem Schweizer Schriftteller Martin R. Dean gelingt mit «Falsches Quartett» ein subtiles Psychogramm von vier Personen, deren Beziehung sich zwischen Gefühlen, eigenen Verletzlichkeiten, Suche und Abhängigkeiten abspielt. Präzise beobachtet und klar formuliert, wachsen die Charaktere zu fassbaren Menschen mit all ihrer Verzweiflung, Sehnsucht und den Versuchen, sich selbst zu finden.

Roman, Banana Yoshimoto, «Der See», aus dem Japanischen von Thomas Eggenberg, Diogenes
Chihiro wohnt schräg gegenüber von Nakajima, sie bemerken sich, winken sich zu, fühlen sich gegenseitig angezogen und leben schliesslich zusammen. Doch sie sind kein «normales» Liebespaar – es liegt ein unergründliches Geheimnis aus der Vergangenheit zwischen ihnen. Filigran, behutsam und empathisch zeichnet die japanische Erfolgsautorin Banana Yoshimoto die Beziehung der zwei jungen, verletzlichen Menschen. Durch die Augen des anderen finden sie zu sich selber, ihre Reise an einen tiefschwarzen See wird zum Schlüssel der Liebesgeschichte. «Der See» bezaubert durch eine unerhörte Leichtigkeit und Poesie.

Roman, Woody Guthrie, «Haus aus Erde», Eichborn
Der Sandsturm jagt heulend durch alle Ritzen der einfachen Holzhütte. Logisch, dass Ella und Tike vom Bau eines Hauses aus Lehmziegeln träumen. Doch weder Land- noch Besitzverhältnisse lassen dies zu, der Boden gehört der Bank.
Der charismatische Folksänger Woody Guthrie (1912–1967) – Idol von Bob Dylan und Bruce Springsteen – hinterliess einen einzigen Roman, Johnny Depp hat ihn 2013 im englischen Original herausgegeben. Guthries Sprache ist unverblümt. Oft wird er jedoch ausufernd. Dennoch, ein lesenswertes Zeitdokument aus dem ländlichen Amerika der Vierzigerjahre. (gal) **

Tagebuch, Wolfgang Herrndorf, «Arbeit und Struktur», Rowohlt
Herrndorf«Meine Angst vorm Strassenverkehr ist wieder nahe null. Nirgends gegengefahren. Einen Eichelhäher gesehen, einen Hasen, ein Eichhörnchen und eine Schlange.» Ein Blogeintrag von Wolfgang Herrndorf (1965 bis 2013), der exemplarisch seine Kunst der Verdichtung zeigt. Nachdem der preisgekrönte Autor des Bestsellerromans «Tschick» 2010 die Diagnose «bösartiger Hirntumor» erhalten hatte, verging er nicht in Selbstmitleid, sondern entschied sich für «Arbeit und Struktur». Jetzt erscheinen die Texte als Buch. Ein faszinierendes Zeugnis, wie er mit Krebs lebte: verzweifelt, voller Hoffnung, sarkastisch. (gal)****

Roman, Jürg Amann, «Die erste Welt», Nimbus
Heiter sind die Erinnerungen an seine Kindheit, ernsthaft und genau – Jürg Amann (1947 bis 2013) hinterlässt als letztes, wunderbares Büchlein «Die erste Welt». Er entführt ins «Dorf» – so die Bezeichnung des Quartiers im Norden von Winterthur –, wo die Kinder noch auf der Strasse Völkerball spielen konnten, der Milchmann die Milch «mit einer metallenen Schöpfkelle» aus einer grossen Kanne in den Milchkessel füllte und Bauer Dähler mit dem Pferdegespann Früchte und Gemüse verkaufte.
Dort wächst der Schweizer Autor auf, dort erlebt er Kindheit, Jugend und langsames Erwachsenwerden. Er tupft die Bilder der Erinnerung sensibel, glasklar und stilistisch brillant. Sie tauchen auf, scheinbar ungeordnet. Jede Episode erhält einen, nur einen einzigen Satz, der zu einem längeren Abschnitt anwächst. Genau so, wie Geschichten vor dem geistigen Auge auftauchen – eine Flut von Momentaufnahmen, ohne innezuhalten. Hier kommt Amanns Stärke zum Zug, seine stille Erzählkunst moduliert zu einem meisterhaft komponierten Porträt der «Welt, die man vorfindet, wenn man auf die Welt kommt»Trotz der Leichtigkeit des Romans, ist stets auch der Tod allgegenwärtig. Sei es bei der Schildkröte, die von einem Auto überrollt wird, oder beim Pferd, das durchbrennt, in ein Schaufenster fällt und an der Schnittwunde verblutet. Die Konfrontation mit dem Tod ist ein zentrales Motiv im Werk von Jürg Amann, hier hat sie jedoch nichts Schweres, Belastendes, für Verzweiflung ist kein Platz. Der Tod ist einfach zur Welt und zum Leben gehörig, ein selbstverständliches Puzzleteil in der Abfolge des Lebens.
Und auch hier: Die Mutter ist ein weiteres wesentliches Thema für Jürg Amann. Die Auseinandersetzung mit ihr prägt sein Denken. Für «Rondo», wo die Pflege der schwerbehinderten Mutter zum Albtraum wird, erhielt er 1982 den Ingeborg-Bachmann-Preis. Und 2003 nannte er einen Prosaband gar «Mutter töten». In seinem letzten, nachgelassenen Roman findet Amann ruhige Töne. Er beginnt das Werk, wie sich die Mutter an seinen Bruder und ihn spielend im Garten erinnert, «drei Tage bevor sie ging». Und er beendet es, wie sie «herausgerufen» wurde, «Heim, wie man sagte». Für Jürg Amann ist «Die erste Welt» sein letzter Roman, ein versöhnliches Ende.

Erzählung, Gerold Späth, «Drei Vögel im Rosenbusch», Lenos
Fabulieren ist die Lieblingsbeschäftigung des Rapperswiler Schriftstellers Gerold Späth. Auch in seiner neuen Erzählung «Drei Vögel im Rosenbusch» kostet er sie mit grosser Lust aus: die «stadtbekannte Mademoiselle Hoggh» breitet ihre weitschweifende Familiensaga aus und erzählt sie bei süffigem Weisswein einem bekannten Schriftsteller. Raffiniert verwischt Späth die Grenzen zur Flunkerei, spielt mit seltenen Wörtern – beispielsweise «umschralen» für die wabernden Rauschschwaden einer Zigarre, die ein Gesicht umwehen – und fasziniert mit seiner blühenden Phantasie. Eine kurzweilige Geschichte, die sich am Besten bei einem Glas Wein liest. (gal ****)

Roman, Lukas Hartmann, «Abschied von Sansibar», Diogenes
Die Prinzessin auf der Flucht
In «Abschied von Sansibar» verarbeitet Lukas Hartmann gekonnt das Leben von Emily Ruete (1844–1924)

von Guy A. Lang
Sansibar. Auch für den Schweizer Autor Lukas Hartmann, 68, hat dieses Wort einen sehnsüchtigen Klang: «Die Vorstellung einer fernen, exotischen Insel hat mich an diesem Namen gereizt», sagt der Gatte von Bundesrätin Simonetta Sommaruga. Und als ihm Freunde von einem Museum im ehemaligen Sultanspalast von Sansibar erzählten, das der Prinzessin Salme alias Emily Ruete gewidmet ist, war der Schriftsteller elektrisiert. «Abschied von Sansibar» heisst der neue Roman von Hartmann und handelt von der Lebensgeschichte eben dieser Prinzessin. Der Autor nähert sich ihr über ihre Kinder an. «Sie erschaffen sich durch ihre Imagination eine Mutter», sagt er, «sie füllen die Leerstellen durch die Vorstellung, wie es gewesen sein könnte.»
Am 30. August 1844 kam die Prinzessin Salme als Tochter des Herrschers von Sansibar zur Welt. Die Muslima verliebte sich in den Hamburger Kaufmann Rudolph Heinrich Ruete und wurde unehelich schwanger – ihr Todesurteil. Sie floh nach Hamburg, heiratete den Deutschen und konvertierte zum Christentum.
Schwierige Balance zwischen Orient und Okzident
Die Probleme begannen, als sie nach dem Unfalltod ihres Gatten die mittlerweile drei Kinder alleine grossziehen musste. Der Drahtseilakt zwischen Orient und Okzident endet für Emily Ruete in Verzweiflung: In Deutschland kam sie unter Vormundschaft, in Sansibar war sie unerwünscht. Hartmann, berühmt für historische Romane wie «Die Frau im Pelz» oder «Die Deutsche im Dorf», beschreibt akkurat und filigran Situationen und Stimmungen. Grossartig, wie er uns das geheimnisvolle Leiden und Leben von Emily Ruete näherbringt, nicht zuletzt durch den Originalbrief von ihr an ihren Bruder in Sansibar, den Hartmann als roten Faden durch den Roman zieht.
Auch wenn das Buch von Emily Ruete handelt, zentrale Figur ist ihr Sohn Rudolph Said. «Er war am symbiotischsten mit der Mutter verbunden», sagt Hartmann. Er beschreibt Said als einen resignierten Menschen, der versuchte, die islamische und die christliche Kultur zu versöhnen. Hartmann: «Sein Versöhnungswillen machte ihn zum Pazifisten und damit zum Landesverräter im kriegerischen Deutschland von 1914.» Hartmanns Roman ist ein Zeitdokument, in dem politische Interessen und Intrigen prägend werden für ein Familienschicksal.

Roman, Franz Hohler, «Gleis 4», Luchterhand
Der Unbekannte hilft Isabelle den Koffer aufs Perron zu tragen, dann bricht er tot zusammen. Damit fallen nicht nur ihre Ferien auf Stromboli ins Wasser, ihr alltägliches Leben wird umgekrempelt und sie findet sich in einer vertrackten Situation wieder. Franz Hohler gestaltet seine Geschichte spannungsgeladen wie ein Krimi. Er erzählt sie locker, mit viel Humor, bringt aktuelle Themen – etwa Rassismus, uneheliche Kinder in früheren Zeiten oder alleinerziehende Mütter –  auf den Punkt, ohne aufdringlich zu werden. (gal) ****

Martin Walker, «Femme fatale», aus dem Englischen von Micheal Windgassen, Diogenes
Die Leiche der Frau, die im Boot den flussabwärts treibt, ist nackt, mit einem seltsamen Tattoo verziert. Und als in einer der Höhlen im französischen Périgord ein blutiger Ziegenkopf sowie schwarze Kerzen gefunden werden, ist Bruno, Chef de Police von Saint-Denis, äusserst gefordert. Der schottische Autor Martin Walker schafft es in seinem fünften Bruno-Roman, Gemütlichkeit und Spannung zu paaren. Dabei ist ihm «Savoir vivre» ebenso essenziell, wie die Aufklärung des Verbrechen – eine genüssliche Lektüre. (gal) ****

Andrea Sawatzki, «Ein allzu braves Mädchen», Piper
Die junge Rothaarige hockt in einem grünen Paillettenkleid unter einer Tanne, abwesend, sie weiss nicht mehr, wie sie dahin gekommen ist. Erst eine Psychologin kann mit viel Geduld ihre Geschichte entlocken. Ein allzu braves MaedchenUngefähr gleichzeitig wird die nackte Leiche eines erschlagenen, alten Mannes gefunden. Andrea Sawatzki – die deutsche Schauspielerin ist vor allem durch die Rolle als Tatort-Kommissarin bekannt – legt in ihrem ersten Roman einen psychologisch raffinierten Plot vor. Doch trotz eindringlicher Schilderungen und flüssigem Stil bleibt das Gefühl von Clichés und Plattitüden. (gal) **

 

Martin Suter, «Allmen und die Dahlien», Diogenes
Das entwendete Dahlien-Bild von Henri Fantin-Latour wird auf etwas über Zwei Millionen geschätzt. Da es bereits als Gestohlenes zu Dalia Gutbauer gelangte, kann die reiche Besitzerin die Polizei nicht einschalten. Also engagiert sie den eleganten Johann Friedrich von Allmen mit seinem Team Carlos und María. Der Schweizer Erfolgsautor Martin Suter entführt in seinem neuen Roman in die nostalgische Welt der Luxushotels. Sein Stil ist gediegen, charmant seine Figuren und angenehm unspektakulär – dennoch spannend und überraschend – seine Geschichte. (gal) ****

Erich Kästner, «Über das Verbrennen von Büchern», Atrium
1933, 10. Mai – Erich Kästner stand auf dem Opernplatz in Berlin vor einem brennenden Scheiterhaufen. Er musste mit eigenen Augen ansehen, wie nationalsozialistische Schergen seine Bücher «hinrichteten». Im Oktober 1965 verbrannten jugendliche Christen wieder Bücher – von Camus, Sagan, Nabokow, Grass und – wieder von Erich Kästner. In dem schmalen Bändchen wider das Vergessen sind vier Texte versammelt, in denen der Schriftsteller seine Betroffenheit und Analysen zu den schrecklichen Vorgängen schildert: «Das blutige Rot der Scheiterhaufen ist immergrün». (gal ****)

John Rosselli, «Giuseppe Verdi, Genie der Oper», aus dem Englischen von Michael Bischoff, C. H. Beck
Ein einfacher Mensch war Giuseppe Verdi bestimmt nicht – er war geschäftstüchtig, professionell, leidenschaftlich. Er verlangte von allen, sich seiner Kunst unterzuordnen, stritt sich seinen Librettisten, Verlegern und der Zensur. Der englische Historiker John Rosselli zeichnet in seiner anspruchsvollen Biographie ein prägnantes Bild des italienischen Komponisten und Gutsherrn, der sehr genau wusste, dass Einnahmen ein Gradmesser für Erfolg sind. Für die spannende Lektüre ist es von Vorteil, wenn Leserinnen und Leser auch die seltener gespielten Opern präsent haben, musikalische Details sind Rosselli wichtig. (gal) ****

Eveline Hasler: «Mit dem letzten Schiff», Nagel & Kimche
Franz Werfel und seine Frau Alma, Walter Mehring, Heinrich und Golo Mann – zweihundert Namen standen auf der Liste von Varian Fry, als er 1940 nach Südfrankreich geschickt wurde. Nachdem die Deutschen Frankreich besetzt hatten, sollte der Amerikaner die meist jüdischen Persönlichkeiten vor der Deportation retten und ihnen die Ausreise in die Freiheit ermöglichen. Eindringlich, bewegend und unpathetisch schildert Eveline Hasler Verzweiflung und Ängste der Flüchtlinge, die illegale und aufopfernde Arbeit Frys, sowie Hoffnung und Menschlichkeit in Zeiten der Unmenschlichkeit. Ein geschichtlicher Roman der unsentimental die Schrecken einer entsetzlichen Epoche aufleben lässt. (gal) ****

Stephen King, «Joyland», aus dem Englischen von Hannes Riffel, Heyne
Joyland

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Adam Johnson, «Das geraubte Leben des Waisen Jun Do», aus dem amerikanischen Englisch von Anke Caroline Burger, Suhrkamp
Tipp der Woche

«In Nordkorea wurde man nicht zu etwas geboren, man wurde zu etwas gemacht…» – diese Aussage aus dem Roman «Das geraubte Leben des Waisen Jun Do» begleitet Leserinnen und Leser während der gesamten Lektüre. Wie der Titel besagt, ist die Hauptfigur Pak Jun Do ein Waisenknabe, der zunächst dafür ausgebildet wird, in der völligen Dunkelheit eines Tunnels zu kämpfen, seinen Hunger zu bezähmen und dank eines ausgeklügelten Trainings Schmerzen und Folterungen zu überleben. Später kidnappt er auf Befehl japanische Staatsbürger, landet als Spion auf einem Fischkutter und gelangt – immer vom Staat vorbestimmt – auf abenteuerliche Weise mit einer politischen Delegation nach Texas. Dann gelangt der naive Protagonist, der von Abenteuer zu Abenteuer stolpert, in den innersten Machtzirkel von Kim Jong-Il.
Für sein beeindruckendes Werk erhielt der US-amerikanische Schriftsteller und Collegeprofessor Adam Johnson den diesjährigen Pulitzer-Preis. Er verlegt die Handlung in das Land, das in letzter Zeit durch seine provokative Haltung in die Schlagzeilen gelangt ist. Zwar hat Johnson auf einer persönlichen Reise durch Nordkorea sorgfältig recherchiert, dennoch, eine objektive Sicht von der diktatorisch regierten Volksrepublik gibt es nicht. So legt er einen hinreissenden Roman vor, der äusserst spannend ist und einen möglichen Blick in das unbekannte, geheimnisvolle Land erlaubt. Zwar gehen die drastischen Schilderungen von Folterungen, geheimen Verliesen und Erziehungslagern manchmal an die Grenze, dennoch, die raffinierte Geschichte ist gespickt mit zynischem Humor, einem sensiblen Blick auf Einzelschicksale, unrealistischen Handlungselementen und einem ausgeprägten Sinn für Dramatik. (gal) ****

Stephan Pörtner, «Mordgarten», Applaus
Der Tote im Hof der Siedlung ist das Opfer einer über den Schädel gezogenen Weinflasche. Der Mörder ist schnell gefunden – George, ein Alkoholiker. Für den Abwart Edi Zingg ist er jedoch der Falsche, also begibt er sich auf Suche nach dem Richtigen. Der Zürcher Autor Stephan Pörtner präsentiert mit «Mordgarten» einen Kriminalfall der eher biederen Sorte. Dennoch – leicht ironisch, locker erzählt und mit genau charakterisierten Personen trifft er den Alltag in einer Genossenschaftssiedlung. Nicht zufällig, ist der Krimi doch ein lesenswertes Auftragswerk zum Jubiläum des Verbands der Wohnbaugenossenschaften. (gal) ***

Nick Dybek, «Der Himmel über Greene Harbor», übersetzt von Frank Fingerhuth, mareverlag
Seit Generationen ist Alaska Ziel der Krabbenfischer  von Loyalty Island, die stolz auf ihren harten Beruf sind. Sie – darunter der Vater von Cal – verlassen ihre Familien für ein halbes Jahr und bringen reiche Beute. Alles geht seinen gewohnten Gang bis der alte Patron stirbt und sein Sohn Schiffe und Fischereirechte verkaufen will, ihr Leben also existenziell bedroht ist. Nick Dybek erzählt die spannende Geschichte dieser einfachen Menschen voller Verstrickungen in Traditionen und  Familienbeziehungen, aus Sicht des vierzehnjährigen Cals. Ein starker Debutroman, überzeugend, dicht, differenziert. (gal) ****

Wagner

Sarah Quigley: «Der Dirigent», Aufbau
Der Erstausgabe liegt eine CD mit der 7. Symphonie von Schostakowitsch bei.

Hunger, Kälte und Erschöpfung – die wenig übriggebliebenen Orchestermusiker des Leningraders Rundfunkorchester brechen beinahe zusammen. Doch Dirigent Karl Eliasberg – selbst am Rand seiner Kräfte – probiert 1941 unerbittlich die 7. Symphonie von Schostakowitsch, komponiert unter schwierigsten Umständen. Das Werk soll aus dem belagerten und weitgehend in Trümmern liegenden Leningrad als Zeichen des Überlebenswillen über Rundfunk verbreitet werden. Die neuseeländische Autorin Sarah Quigley beschreibt intensiv und poetisch den unerbittlichen Kampf ums tägliche Leben und die Schaffenskraft von Menschen in schrecklichen Situationen. Dabei mischt sie gekonnt Fakten und Fiktion, schafft ein lesenswertes, sensibles Porträt über Musik, Schostakowitsch und Leningrad. (gal) ****

Maarten ’t Hart, «Unter dem Deich», aus dem Niederländischen von Gregor Seferens, Piper, 269 S., CHF 32.90
Liebevoll und blumig erzählt der niederländische Schriftsteller Maarten ’t Hart in einem ersten Teil des Romans von den Menschen seiner Jugendzeit. Er erweckt skurrile, gottesfürchtige Personen zum Leben, die «unter dem Deich» wohnen – dort wo jeder Gulden umgedreht werden muss. Zweiter Teil, «Der Kreisel»: Auch Clazien stammt von unten, schafft es aber auszubrechen und nach «oben» zu entrinnen.
Während der Autor im ersten Teil eine spannende Begegnung mit einer betulichen und dennoch bedrohlichen Welt voller Leben zaubert, wirkt der rastlose Ehrgeiz im zweiten Teil etwas aufgesetzt und brav. (gal) ***

Regenbogentruppe

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Franziska Häny, «Der Rote Norden», weissbooks.w

Ihr totgeglaubter Bruder Martin ruft an und bestellt Sophie an die Beerdigung einer Tante. Sie folgt dem Ruf und entdeckt, dass ihre Tante zwar hilfebedürftig ist, aber noch lebt. Als Martin sie noch nach Imalo in den «Roten Norden» bestellt, ist ihre Welt völlig durcheinander. Franziska Häny schickt die Protagonistin in ihrem Debütroman – die Schweizer Autorin ist Jahrgang 1950 – auf eine Reise, von der nie ganz klar wird, ob Sophie einem emotionalen Phänomen oder einem realen Ziel nachjagt. Psychologisch geschickt erzählt Häny den Aufbruch einer älteren Frau aus festgefahrenen Gleisen in eine selbstgefundene Freiheit. (gal) ***

David Grossman, «Aus der Zeit fallen», Hanser
Trauer, die grosse Trauer nach dem stets unfasslichen Tod eines geliebten Menschen – sensibel und verständnislos klagt der israelische Schriftsteller David Grossman um seinen Sohn. Er wurde zwanzigjährig im Libanon-Krieg getötet. Zwischen antiker Tragödie, Prosagedicht, poetischer Trauerarbeit und intimer Verzweiflung ist «Aus der Zeit fallen» eine intensive Auseinandersetzung mit Angst, Verlust, dem Leben. Ein Chronist berichtet sachlich das Geschehen, betroffene Personen, die ihre Kinder verloren haben, versuchen mit ihren Gefühlen klar zu kommen. Ein Buch, das langsam zu lesen ist, ein Buch das weniger betroffen denn nachdenklich macht. (gal)  ***

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Circolino Pipistrello – Dschungelfieber greift um sich https://www.guylang.ch/?p=1305 https://www.guylang.ch/?p=1305#respond Thu, 03 Apr 2014 09:21:54 +0000 http://www.guylang.ch/?p=1305 «Macaco» – der Titel lässt auf Exotisches schliessen. Wenn gar noch mit «Ein zirzensisches Affentheater» nachgedoppelt wird, kann sich das Publikum auf eine weite Reise gefasst machen. Es liess sich animieren und strömte zur diesjährigen Pipistrello-Premiere am 30. März um 14 Uhr so zahlreich ins Schöntal, dass nicht alle im Zelt Platz hatten und einige auf 19 Uhr vertröstet werden mussten.

Karrusell Pipistrello klein
Um es vorwegzunehmen: die 400 am Nachmittag und 250 Personen am Abend waren vom Spiel der Fledermäuse – «Pipistrello» heisst «Fledermaus» auf Italienisch – begeistert. Schon vor der Vorstellung herrscht ein buntes Treiben auf dem Platz. Da locken ein Karussell mit Tintenfisch, Seepferdchen und melancholische Melodien aus der Handorgel, duften Grillwürste, Spaghettis mit dreierlei Saucen und Getränke und die Zirkusband spielt zum Tanz auf. Die Atmosphäre ist fröhlich, friedlich, die Einstimmung auf die Vorstellung perfekt. Dann öffnet sich das Zelt, die Stühle und Bänke füllen sich, Kinder, Erwachsene und sogar ein Hund warten gespannt auf den Beginn.

 

Bewundernswerte Körperbeherrschung
Palmen, Schmetterlinge, Vogelgezwitscher – kein Zweifel, wir sind im Urwald. Ein Elefant trampelt trompetend vorbei, sein Baby stolpert hinterher. Eine Giraffe, Zebras und die Affenbande tanzen, und hüpfen, das Leben im Dschungel ist bunt und vielfältig. Plötzlich taucht ein weisses Wesen auf, befremdlich in dieser Umgebung. Es sieht aus wie «eine Kokosnuss von innen», wie eines der Tiere feststellt. Schliesslich nimmt sich die Affenmama des Wesens an und nennt es «Macaco». Bewohnerinnen und Bewohner eines kleinen Dorfes mit einem reichhaltigen Markt gehören auch in diese Region, eine friedliche Welt. In diese Idylle bricht ein eitler Zoodirektor mit zwei Tierfängern auf der Suche nach exotischen Tieren ein – das Drama ist vorprogrammiert.
Die bestens eingespielte Truppe vom Circolino Pipistrello erzählt die spannende Geschichte mit viel Enthusiasmus, Elan und bewundernswertem Einsatz und faszinierende Körperbeherrschung. Da wird gesungen, geklettert, getanzt, mit Bällen und Keulen jongliert, an Seilen und Trapezen gehangen – ein höchst erfreuliches Vergnügen. Die siebzehn Personen kommen aus den verschiedensten Berufen, von Velokurier über Textildesignerin zu Lehrerin, um nur einige zu nennen, spielen die verschiedensten Rollen und beherrschen die verschiedensten Zirkustechniken und Instrumente – ein homogener Haufen heterogener Persönlichkeiten.

Poetische Geschichte für Kinder und Erwachsene
Das Bühnenbild und die Kostüme von Peter Hauser zeugen von enormer Fantasie. Mit einigen Bambusstangen, grossen und kleinen Fächern und wenigen Requisiten zaubert er Flora und Fauna einer fernen Welt in die Zirkusmanege. Da entstehen mit simpelsten Mittel vielfältige Bilder und Stimmungen. Als Beispiel mag eine kleine Szene genügen: Tierfänger und Zoodirektor müssen sich durch den undurchdringlichen Dschungel kämpfen, immer wieder versperren dicke Bambusse den Weg. Allein zu sehen, wie raffiniert dieses Dickicht hergestellt wird, lohnt den Vorstellungsbesuch. Oder das Feuer, das den Dschungel abbrennt, oder die böse Schlange, die sich ein Affenbaby holen will, oder …
Von Josune Goenaga und Manuel Schunter stammen Idee und Inszenierung, Marc Bänteli unterstützt das zirzensische Affentheater mit ansteckender Musik, bei der das Publikum mitgeht. Die Personenführung ist sensibel und stimmig, die Einfälle witzig, poetisch und überzeugend. Etwa die Dressurnummern mit den Leoparden, Flamingos, Seehunden und dem Eisbär mit seinen zwei Pinguinen. Die Geschichte sorgt bei Kindern und Erwachsenen gleichermassen für glückliche und strahlende Gesichter.

Tournee mit Projektwochen
Mit «Macaco» tourt der Circolino Pipistrello jetzt durch die Schweiz und Liechtenstein, der Tourneeplan findet sich auf www.pipistrello.ch. Die Truppe bleibt jeweils eine Woche vor Ort und bietet sechstägige Projektwochen für interessierte und motivierte Menschen an. Seien es Primarschulkinder, Seniorinnen und Senioren oder Menschen mit einer Behinderung. Alle können sich den Traum vom Zirkusleben verwirklichen, vom Zeltaufbau bis zum tosenden Applaus. Der auch nach der Premiere im Schöntal zu Recht aufbrauste.

PS: Das Einzige was ich in dieser wunderbaren Vorstellung vermisst habe, war eine Nummer mit den Namensgebern – dressierte Fledermäuse müssen putzig aussehen.

Erschienen in «Der Tößthaler», 3. April 2014

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