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Friederike Heller inszenierte den Klassiker in der schlichten aber vielfältigen Ausstattung von Sabine Kohstedt ohne Berührungsängste, lustvoll, berauschend, intelligent. Die Geschichte – Rache für eine Blosstellung – wird sauber herausgearbeitet, getrunken wird bis zum Exzess – schliesslich huldigt man laut Text «König Champagner I.» –, gesungen wird voller Inbrunst. Markus Reschtnefki hat das Ganze für Flügel, Gitarre, Schlagwerk, Vibraphon und Pauke musikalisch eingerichtet – inklusive Ausflüge zu anderen Komponisten als Johann Strauss – und die Arien und Gesänge dem Ensemble auf den Leib geschrieben. Dieses ist in wunderbarer Laune und läuft im Spiel zwischen Kitsch und Ernst zu Hochform auf. Allen voran brilliert Jennifer Frank als Stubenmächen – ein Ausdruck, der jedesmal einen Schrei der Entrüstung auslöst – Adele. Ein «Amüsemang» auf ganzer Linie.
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Premiere von Peter Weiss im Neumarkt-Theater Zürich
Zürich – Revolution oder Kopulation? Diese Frage stellt das Drama von Peter Weiss «Die Verfolgung und Ermordung des Jean Paul Marat, dargestellt durch die Schauspielgruppe des Hospizes zu Charenton unter der Anleitung des Herrn de Sade». Premiere war am 5. November 1994.
Das Hospiz zu Charenton entpuppt sich als Heilanstalt, die Darsteller sind Insassen. Sie leiden unter den verschiedensten Krankheiten wie Paranoia, Schlafsucht oder Depression. Marquis de Sade hat «zur Erbauung der Kranken ein Drama ersonnen und instruiert», wie Coulmier, der Direktor der Anstalt, dem Publikum erklärt. Darin stellt de Sade seiner Idee von Individualität des Menschen gegen den Kollektivanspruch der Revolution.
Verkörpert wird dieser Gegenpol von Jean Paul Marat, einem historischen Revolutionär. Er sitzt in der Badewanne, da er ständig von Juckreiz geplagt ist. Simonne Evrard schirmt ihn vor den Menschen ab. Schliesslich gelingt es jedoch Charlotte Corday, zu Marat vorgelassen zu werden. Sie erstickt den Fanatiker, weil es dem Volk trotz der Versprechen der Revolutionäre immer noch schlecht geht.
Stephan Müller hat inszeniert: zurückhaltend, konzentriert, spannend. Er verlegt die Handlung von 1793 in die Gegenwart und verzichtet auf naturalistische Krankheitsbilder. Sehr deutlich unterscheidet er die verschiedenen Ebenen – die Auseinandersetzungen zwischen den Anstaltsinsassen einerseits und das Theater-Spiel der Insassen über die Diskussion zwischen de Sade und Marat andererseits. Der Raum von Lukas Dietschy ist schlicht, ein Parkettboden, graue Wände, geschlossene Türen. Die Badewanne ist einem fahrbaren Holzstuhl gewichen, die Darstellerinnen und Darsteller sind schwarzweiss gewandet und spielen barfuss.
Das Spiel ist von einer eindringlichen Kompaktheit. Die Sprache wird oft rhythmisiert und chorisch eingesetzt. Reinhard von Hacht hat als Direktor die Fäden in der Hand.
Wenn die Patienten ausflippen und aus dem Stück im Stück aussteigen. Lässt er schon mal das Zuschauerlicht anschalten oder eine Beruhigungsspritze verabreichen. Ingold Wildenauer spielt den de Sade – zynisch, resigniert.
Volker Lösch als fanatisierter Marat und Isabelle Menke als mordende Charlotte Corday stehen hie stellvertretend für die überzeugende Geasmtheit des Ensembles.
Erschienen im «Blick», 7. November 1994
]]>«Hamletmaschine» von Wolfgang Rihm und Heiner Müller – ein faszinierend beeindruckender Opernabend in Zürich
Schon beim Betreten des Zuschauerraums deutet alles auf einen ungewöhnlichen Theaterabend hin: die drei Proszeniumlogen links und rechts sind besetzt von Schlagwerk, Otenpulten und Musikern. Ein spannender Kontrast zwischen dem Gold der Balkone und der Nüchternheit moderner Instrumente.
Dazu in weisser Schrift:
«Erinnerung an die erste Lektüre: Hamlet aus der Schulbibliothek … Ich ahnte mehr als ich verstand, aber der Sprung macht die Erfahrung, nicht der Schritt.
Das Stück selbst ist der Versuch, eine Erfahrung zu beschreiben, die keine Wirklichkeit hat in der Zeit der Beschreibung. Ein Endspiel in der Morgenröte eines unbekannten Tages. Welcome to the hell no pity here. Hamlet.»
Um eine Oper im herkömmlichen Sinn handelt es sich nicht. «Hamletmaschine» erzählt keine Geschichte, das Musiktheaterstück setzt sich mit Mythen auseinander, die durch weitere Mythen erweitert sind, mit Figuren die gespielt und nicht mehr spielbar sind. Assoziativ wird auf die Unüberschaubarkeit des Seins, der Ereignisse, der Gedanken, Philosophien und Situationen angespielt. Marx, Lenin, Mao, aber auch Ophelia, Ulrike Meinhof, Elektra, Nietzsche oder eben Hamlet treten auf. Letzterer gleich in dreifacher Verkörperung, stets als Heiner Müller mit Zigarre und Schreibmachine erkennbar. Bilder von Guantanamo, Pegida Demonstrationen oder aus der Andy-Warhol-Factory werden heraufbeschworen. In seiner Inszenierung zieht Regisseur Sebastian Baumgarten zusammen mit der Bühnenbildnerin Barbara Ehnes und den Kostümen von Marysol Del Castillo alle Register.
Dazu die eruptiven Klangmassen von Rihm, die er mit wunderbar lyrischen Augenblicken mischt, die gleich wieder in entfesselten Klangclustern explodieren. Die Rihms Instrumentierung ist gekonnt, ihm gelingent subtile und raffinierte Tonfarben.
Das Ensemble ist ausgezeichnet, konzentriert und virtuos. Vom Chor über die hervorragenden Solisten zu allen Darstellerinnen und Darsteller. Das Orchester ist höchst präzise und wird inspiriert von Gabriel Feltz am Dirigentenpult.Ein lohnenswerter Abend, eine spannende Auseinandersetzung mit unserer Zeit, ihrer Erscheinung, ihrer Ausweglosigkeit.
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